Was bedeutet "psychische Gesundheit"? Wie werden / bleiben wir psychisch gesund?
Veröffentlicht von Rainer Langlitz in Gesundheit · Dienstag, 21. Mai 2024 · 6:30
Teil 1 von 9: Was bedeutet „Psyche“?
Zwar kommt das Wort „Psyche“ aus dem Griechischen und wird in aller Regel mit „Seele“ übersetzt. Was aber bedeutet „Seele“ eigentlich? Sicherlich ist die Vorstellung des antiken Philosophen Platon von „Seele“ nicht zielführend.
Die moderne Psychologie versteht stattdessen unter Psyche eher "die eigene Persönlichkeit mit ihren Gefühlszuständen".
(Das Wort "Person" kommt von lat. personare = klingen, tönen; engl. to sound; hebr. näfäsch = Seele bzw. Leben bzw. Kehle als Ort der Stimmbildung. Unsere Person hat also auch im erheblichen Maße etwas mit unserer Stimme und eben auch im besonderen Maße etwas mit unser Stimmung zu tun. Stimme, Stimmung, Person, Persönlichkeit, Gefühle, Emotionen haben also etwas mit unserer Seele zu tun. Ich würde sogar soweit gehen und sagen, unsere Persönlichkeit (also unsere unverwechselbare Identität) ist unsere Seele.)
Teil 2 von 9: Psychische Leiden nehmen zu
Dass unsere Psyche leiden kann, braucht nicht in Frage gestellt zu werden.
„Fehltage wegen kranker Psyche erreichen neuen Höchststand“
„Die meisten Fehltage entfallen auf Depressionen (118 Tage je 100 Versicherte). Dahinter folgen Fehlzeiten aufgrund von Anpassungsstörungen (77 Tage je 100 Versicherte). Zu den weiteren relevanten Diagnosen zählen chronische Erschöpfung (34Tage je 100 Versicherte) und Angststörungen (23 Tage je 100 Versicherte). Generell werden Frauen häufiger auf Grund von psychischen Erkrankungen krankgeschrieben.“
„2021 betrug die Zahl der Ausfalltage wegen psychischer Erkrankungen demnach noch 126 Millionen. Bei Frauen ist die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage wegen psychischer Erkrankungen 2022 gegenüber dem Vorjahr von 75 Millionen auf 77 Millionen gestiegen, bei Männern nahm sie von 51 Millionen auf 55 Millionen zu.“
Link und Quellenangabe:
Teil 3 von 9: Das Typenmodell nach Fritz Riemann
Um psychisch gesund/stabil zu sein/zu werden/zu bleiben, ist es extrem wichtig zu wissen, welche Persönlichkeit wir eigentlich sind.
Dazu hatte der Psychoanalytiker Fritz Riemann (1902 - 1979) eine große Pionierarbeit geleistet:
Er stellte ein Modell von unserer Persönlichkeit auf und erkannte dabei vier verschiedene Persönlichkeitstypen:
1.) schizoid als Angst vor zu viel Nähe (die Angst vor der Selbsthingabe, als Ich-Verlust und Abhängigkeit erlebt)
2.) depressiv als Angst vor zu viel Distanz (die Angst vor der Selbstwerdung, als Ungeborgenheit und Isolierung erlebt)
3.) zwanghaft als Angst vor zu viel Wechsel/Risiko (die Angst vor der Wandlung, als Vergänglichkeit und Unsicherheit empfunden)
4.) hysterisch als Angst vor zu viel Ordnung/Konstanz (die Angst vor der Notwendigkeit, als Endgültigkeit und Unfreiheit erlebt)
Riemann stellte seine Theorie auch in einem Buch dar: "Grundformen der Angst - eine tiefenpsychologische Studie" - mittlerweile in der ca. 39. Auflage!
Teil 4 von 9: Wie bleiben / sind wir nach Riemann psychisch gesund?
Wann sind wir nach Riemann psychisch gesund bzw. stabil? Riemann sagt, um psychisch gesund und stabil zu sein bzw. zu werden / bleiben, dürfen wir uns nicht in einem Extrem befinden. Wir müssen / sollten uns möglichst in der Mitte der beiden folgenden Antinomien ("Gegensätze") bewegen;
1. Antinomie = Nähe - Distanz
2. Antinomie = Ordnung - Veränderung
Teil 5 von 9: der schizoide Persönlichkeitstyp
Wie stellt sich der Distanz-Typ („schizoid“) dar?
Innere Freiheit und Unabhängigkeit, Autonomie, Distanz, Abgrenzen, Selbstbestimmung, Selbstbewahrung, Eigenwelt und Phantasie (bis zu verschroben, bizarr, manieriert), Individualität, Gefühls- und Ausdrucksbeherrschung trotz oder wegen intensiver Gefühle, Ambivalenz und Ringen um innere Einheit, Identität und Harmonie, sensibel, hochsensitiv, Konsequenz, sachlich, rational, logisch, abstrakt, innerlich unsicher, äußerlich selbstbewusst (bis arrogant wirkend), starker Drang nach Unabhängigkeit, "Ich bin das Maß aller Dinge!", vermeidet Emotionen und menschliche Nähe, sachlich, kühl und objektiv, aggressiv und arrogant, fehlender Enthusiasmus, gleichgültig gegenüber Kritik, "Nur ich weiß, was richtig ist!", starkes Selbstwertgefühl, vertritt seine Überzeugung klar und kompromisslos, unsentimental, ironisch-sarkastisch, scharfe Beobachtungsgabe.
Teil 6 von 9: der depressive Persönlichkeitstyp
Wie stellt sich der Nähe-Typ („depressiv“) dar?
Geborgenheit, Anpassung, Anlehnung, Harmonie, Kooperationsfähig, Hingabefähig, gefühlvoll, warmherzig, Mitgefühl, Anteilnahme, vorsichtig, Friede, Ausgleich, sorgend, funktionierend, Liebe, Einfühlung, Treue, Führung suchend, brav, einordnen, unterordnen, behütet und behütend, naiv, gutgläubig, unselbständig, zögerlich. Wunsch nach Zuneigung und menschlicher Nähe, "Ich will nicht alleine sein!", Vermeidung von Konflikten, "Ich hasse Streit!", Vogel-Strauß-Mentalität, selbstlos und geduldig, denkt erst an andere, dann an sich, verhält sich kindlich-hilflos, wenig Selbstwertgefühl, einfühlsam und hilfsbereit, schlicht und anspruchslos, relativ wenig Egoismus.
Teil 7 von 9: der zwanghafte Persönlichkeitstyp
Wie stellt sich der Ordnungs-Typ („zwanghaft“) dar?
Perfektion und Optimierung, Kontrolle, Macht und Beherrschung, Richtig und Falsch, Recht und Ordnung, Gewissenhaftigkeit (skrupulös), Sicherheit, Vorsicht, Leistung, Ehrgeiz, Ausdauer, Hartnäckigkeit, Streitbarkeit, Geld, Besitz, Materie, Bodenständiges, Konservatives, Tradition, Ordnung, Sauberkeit, Sparsamkeit, Geiz, Sachlichkeit, Wahrnehmbares, Konkretes, Konsequenz, zuverlässig, Angst vor Risiko und Veränderung, liebt präzise Planung, Vorurteile, Dogmatismus, Perfektionist und konsequent korrekt, Entschlussunfähigkeit, Detailfetischismus, Ein "Nein" bleibt ein "Nein", ordentlich und fleißig, beständig und zuverlässig, verantwortungsbewusst.
Teil 8 von 9: der hysterische Persönlichkeitstyp
Wie stellt sich der Veränderungs-Typ („hysterisch“) dar?
Leichtes, müheloses, anregendes Leben, (äußere) Freiheit, Ungebundenheit, Spannung, Erlebnishunger, Abwechslung, Abenteuer, neue Reize, Aktivität, Impulsivität, Unternehmungsgeist, Risiko, Kontakt, Spontaneität, Begeisterung, Gefallen, Mittelpunkt, Beeindruckbarkeit, Theatralik, Show, Wirkung, Effekt, Ideen, Kreativ, Flüchtig, oberflächlich, flexibel, aufgeschlossen für Neuerungen, revolutionär, liebt die ständige Abwechslung, "Ich will Freiheit und Risiko, Traditionen und Konzepte engen mich ein.", steht gerne im Mittelpunkt, "Ich möchte bewundert und anerkannt werden.", Veränderung der Veränderung willen, gibt Versprechungen, die er nicht einhält, "Rösselsprünge" im Denken, Imponiergehabe und Starallüren, oberflächlich und leicht zu beeinflussen, will sofortige Bedürfnisbefriedigung, nur das Hier und jetzt zählt, lebhaft, spontan und charmant.
Teil 9 von 9: Abschließende Bemerkung(en)
Psychologen und Ärzte (hier: Psychiater) weisen immer wieder auf den Zusammenhang zwischen unserer Persönlichkeit und unserer Kindheit hin: die Kindheit habe entscheidenden Einfluss auf unsere spätere Persönlichkeit.
Es ist wichtig, dass wir uns selbst verstehen:
a) Wer bin ich?
b) Wo komme ich her?
c) Welche Eigenschaften habe ich eigentlich?
d) Wie ist meine Persönlichkeit zu verstehen?
e) etc.
Auf diese Weise werden/bleiben wir psychisch stabil/gesund! Es geht dabei um eine Bewusstsein über meine eigene Person. Es geht darüber hinaus auch darum, eine Balance über dieses Bewusstsein ("Selbstbewusstsein") zu bewahren. Es geht darum, in Übereinstimmung mit den Bedürfnissen, die mein Persönlichkeitstyp hat, zu leben. Es geht aber vielmehr auch darum - bezogen auf das Persönlichkeitsmodell nach Riemann - in der Mitte von allen vier Extremen zu sein.

Riemann hatte nämlich festgestellt, dass es immer dann zu Ängsten und zu anderen psychischen Problemen kommt, wenn wir jeweils eine der beiden "Antinomien" (s. o.) stärker im Sinne eines Extrems leben. Wir geben dazu zwei Beispiele aus dem Bereich der Antinomie "zwanghaft vs. hysterisch":
Wenn ich ein zwanghafter Persönlichkeitstyp bin und von daher zu 100% das Extrem Perfektion bzw. das Extrem Sicherheit lebe, dann gerate ich jedesmal in Angst und in ein Ungleichgewicht (d. h. ich gerate außer Balance), wenn etwas Unvorhergesehenes in mein Leben tritt bzw. passiert. Ein 100%-ige Kontrolle über mein Leben ist nicht möglich. Ich muss auch den Wechsel, das Risiko und sogar Chaos in gewisser Weise zu akzeptieren lernen.
Wenn ich ein zwanghafter Persönlichkeitstyp bin und von daher zu 100% das Extrem Perfektion bzw. das Extrem Sicherheit lebe, dann gerate ich jedesmal in Angst und in ein Ungleichgewicht (d. h. ich gerate außer Balance), wenn etwas Unvorhergesehenes in mein Leben tritt bzw. passiert. Ein 100%-ige Kontrolle über mein Leben ist nicht möglich. Ich muss auch den Wechsel, das Risiko und sogar Chaos in gewisser Weise zu akzeptieren lernen.
Umgekehrt gilt dies auch für den hysterischen Persönlichkeitstyp: Lebe ich also zu 100% das Risiko und brauche zu 100% ständig Abwechslung, so ertrage ich keine Konstanz und brauche ständige Abwechslung.
Rainer Langlitz
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