Direkt zum Seiteninhalt

Gedächtnis, Erinnerung und Gedenken. Die Bedeutung einer Erinnerungskultur anlässlich des 8. Mai 1945: Woran erinnern wir am 8. Mai? Warum ich die Ablehnung der AfD, den 8. Mai als gesetzlichen Feiertag in Deutschland einzuführen, nicht gutheißen kann

Menü überspringen
Menü überspringen
Menü überspringen

Gedächtnis, Erinnerung und Gedenken. Die Bedeutung einer Erinnerungskultur anlässlich des 8. Mai 1945: Woran erinnern wir am 8. Mai? Warum ich die Ablehnung der AfD, den 8. Mai als gesetzlichen Feiertag in Deutschland einzuführen, nicht gutheißen kann

Rainer Langlitz
Veröffentlicht von Rainer Langlitz in Essays · Donnerstag, 01. Mai 2025 · Lesezeit 19:30
In diesem Aufsatz geht es um die Bedeutung einer Erinnerungskultur anlässlich des 8. Mai 1945 verbunden mit der Frage: Woran erinnern wir eigentlich am 8. Mai? Weiterhin stellt dieser Aufsatz die Entwicklung des Gedenkens an den 8. Mai 1945 in der deutschen Nachkriegszeit bis in die Gegenwart in ausgewählten Schritten dar. Der Aufsatz thematisiert zudem die Frage, warum das Gedenken an den 8. Mai 1945 so wichtig ist. Abschließend wird die Frage angeschnitten, ob der 8. Mai zukünftig im gesamten Bundesgebiet von Deutschland ein einheitlicher Feiertag werden sollte. Ich versuche dabei darzustellen und zu begründen, warum ich die Haltung der AfD in dieser Frage ablehne.

Wir erinnern am 8. Mai in Form eines Gedenkens an das Kriegsende vom 8. Mai 1945. Am 8. Mai 2025 liegen nun 80 Jahre nach dem 8. Mai 1945 zurück. Das Datum „8. Mai“ ist seit 1945 von herausragender Bedeutung. Jeder Mensch auf dieser Welt in Gegenwart und Zukunft[1] sollte wissen, warum dieser 8. Mai ein wichtiger und entscheidender Tag für Deutschland, für Europa und für die ganze Welt ist. Woran erinnern wir also am 8. Mai? Wir erinnern am 8. Mai an die Kapitulation der deutschen Wehrmacht aus dem Jahr 1945 und damit an das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa.[2] Damit wird deutlich, wie wichtig und entscheidend der 8. Mai ist. Es geht um eine Erinnerungskultur. Zeitzeugen werden immer weniger. Das kulturelle Gedächtnis löst dabei das kommunikative Gedächtnis ab: Wir können immer weniger mit Zeitzeugen in direkten Kontakt treten.

Auch dieses Faktum bedingt die Notwendigkeit einer Erinnerungskultur.
 
Für ein Gedenken sind Gedächtnis und Erinnerung vonnöten und von entscheidender Bedeutung. Ein Gedenken stellt in aller Regel eine „öffentliche Handlung“ dar in Form eines Rituals. Dieses Ritual kann sich z. B. in einer Gedenkfeier, in einer Gedenkminute, in einer Gedenkstunde, in einem Gedenktag, in einer Gedenkmünze oder z. B. auch in Form einer Gedenkstätte abbilden. Dabei dient das Gedächtnis als Speicher, d. h. es speichert „alle“ Fakten aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ohne Zusammenhang, wahllos und ohne Bewertung, denn alles ist gleich wichtig. Welche Funktion hat dabei unser Gedächtnis? Zunächst ist unser Gedächtnis an die Erinnerung eines Trägers gebunden. Träger der Erinnerung sind Einzelne, Gruppen oder Institutionen. Unser Gedächtnis verbindet in Form des Erinnerns die wahllos gespeicherten Fakten aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu einem Sinn, denn sich erinnern bedeutet, einen Sinnzusammenhang herzustellen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Dabei werden vom Gedächtnis Inhalte von der Erinnerung ausgewählt. Zusätzlich vermittelt unser Gedächtnis dabei Werte zum Handeln, denn unsere Erinnerung wird durch eine Form der Ethik („Was ist richtig?) von Wertvorstellungen geprägt. Zusätzlich wählt die Erinnerung in uns Inhalte aus unserem Gedächtnis aus.[3]
 
 
Insofern sind wir schon angekommen bei dem Versuch, die Entwicklung des Gedenkens an den 8. Mai in der deutschen Nachkriegszeit bis in die Gegenwart darzustellen.
 
 
In den vier Jahren nach 1945 (1945 – 1949) lag die Verwaltung in Deutschland in den Händen der vier Besatzungsmächte. Erst nach 1949, nach Gründung der beiden deutschen Staaten (BRD und DDR[4]), stellte sich die Frage, ob und in welcher Form man mit dem 8. Mai 1945 als Gedenktag umgehen sollte.[5] Von 1949 an wurde dieses Datum zum Gegenstand deutscher Geschichtspolitik. Der erste Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland, Theodor Heuss (1884-1963) äußerte sich zu dieser Problematik 1955 folgendermaßen: „Im Grunde bleibt dieser 8. Mai 1945 die tragischste und fragwürdigste Paradoxie der Geschichte für jeden von uns. Warum denn? Weil wir erlöst und vernichtet in einem gewesen sind.“[6] Im Jahre 1955 hatte die bundesdeutsche Gesellschaft den Nationalsozialismus und dessen Zusammenbruch noch zu wenig verarbeitet. Eine positive Zukunftsperspektive konnte der Kapitulation vom 8. Mai 1945 im Jahre 1955 noch nicht abgewonnen werden.[7]
 
 
Auch 1965 gab es noch keine Festlegung auf ein bestimmtes staatliches Gedenkritual. Allerdings ergab es sich, dass der damalige Bundeskanzler Ludwig Erhard (1897-1977) am 6. Mai 1965 in einer Rede vor dem „Deutschen Industrie- und Handelstag“ (DIHT) in Hamburg die Verdrängung der NS-Zeit ausdrücklich kritisierte. Am folgenden Tag sprach Erhard von der „Gnade“ des Neuanfangs, verzichtete aber auf eine historisch-kritische Argumentation.[8]
 
 
1970 fand eine umfangreichere Würdigung des Kriegsendes als Gedenkanlass statt. Bundespräsident Gustav Heinemann (1899-1976) hielt am 6. Mai 1970 eine Ansprache vor dem diplomatischen Korps im Ballhaus (Redoute) in Bad Godesberg. In dieser Ansprache blickte Heinemann zunächst auf die Untaten der Nationalsozialisten zurück. Dieser Rückblick umfasste allerdings nur wenige Zeilen. Danach zog Heinemann eine positive und auf die Zukunft ausgerichtete Bilanz der jungen Demokratie in der Bundesrepublik und stellte die Versöhnung mit den Staaten im Osten als Zukunftsaufgabe dar.[9] Am 8. Mai 1970 erörterte Bundeskanzler Willy Brandt (1913-1992) in seiner Regierungserklärung im Bundestag, was 1933 über uns kam. Darüber hinaus ging er auf die Lehren und Erfolge der deutschen Nachkriegsdemokratie ein. Reden aus allen Fraktionen folgten. Allerdings hatte die Erinnerung an den 8. Mai 1945 noch immer keine allgemein verbindlichen überparteilichen Formen gefunden.[10]
 
 
1975 setzte sich Bundespräsident Walter Scheel (1919-2016) für eine Aufwertung des 8. Mai als Gedenktag ein. Scheel gab gegen Widerstände aus dem Bundestag Anstöße zu einer Gedenkstunde im Plenarsaal des Bundestages. Dies war aber nicht durchzusetzen, so dass er auf die Schlosskirche der Universität Bonn ausweichen musste. In der Gedenkfeier am 6. Mai 1975 ging Scheel ausführlich auf das NS-Herrschaftssystem ein. Er betonte, dass die Befreiung vom furchtbaren Joch, von Krieg, Mord, Knechtschaft und Barbarei von außen kommen musste, bemerkte aber auch, dass mit dem Deutschen Reich auch das Vaterland untergegangen war.[11]
 
 
Am 8. Mai 1985 hielt Bundespräsident Richard von Weizsäcker (1920-2015) eine der bislang bedeutendsten Reden[12] im Rahmen einer Gedenkstunde anlässlich des 8. Mai 1945 im Plenarsaal des Deutschen Bundestages vor Bundestagsabgeordneten und geladenen Gästen. Weizsäcker ging in einer Reihe von Punkten weiter als Scheel im Jahr 1975, weswegen die Rede Weizsäckers wahrscheinlich herausragende Beachtung fand. Die Rede Weizsäckers gilt als eine „Sternstunde der deutschen Nachkriegsgeschichte“.[13]
 
 
1995 lud Bundespräsident Roman Herzog (1934-2017) zum Staatsakt am 8. Mai 1995 die Staatsoberhäupter der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs ein. Diese Einladung hatte besondere symbolische Bedeutung – vor allem wegen des Zwei-plus-vier-Vertrages vom 12. September 1990 in der Bedeutung eines europäischen Friedensvertrages und wegen der Vereinigung der beiden deutschen Staaten. Herzog dankte in seiner Rede zunächst den Westmächten für deren Hilfe nach 1945. Dann betonte er die erfolgreiche Einbindung der Bundesrepublik in die westlichen Demokratien. Als aktuelle und künftige Aufgabe skizzierte Herzog die Zusammenarbeit mit den Ländern Mittel- und Osteuropas nach dem Ende des Kalten Krieges. Herzogs zentrale Vision war, die Insel des Friedens, der Demokratie und des Wohlstands müsse immer größer werden. Dem eigentlichen Anlass des Staatsaktes, nämlich dem Gedenken an den 8. Mai 1945 im engeren Sinne, widmete Herzog nur die ersten 80 der insgesamt 355 Zeilen seine Rede. Herzog konnte für eine ausführlichere Befassung mit der Vorgeschichte des 8. Mai 1945 auf seine eigenen Gedenkreden in Warschau und Jerusalem, in Bergen-Belsen und Dresden hinweisen, was als Zeichen einer zunehmenden Institutionalisierung der Gedenkkultur in der Innen- und Außenpolitik der Bundesrepublik gewertet werden kann.[14]
 
 
Am 16. März 2005 thematisierte Bundespräsident Horst Köhler (1943-2025) in seiner Aufsehen erregenden Rede „Die Ordnung der Freiheit“ die hohen aktuellen Arbeitslosenzahlen, die Anlass zu Sorgen über die gesellschaftliche Stabilität geben mussten. Diese historische Anspielung auf das Ende der Weimarer Republik war gewollt, denn es gab rechtsradikale Stimmen im sächsischen Landtag, die für den 8. Mai 2005 eine Demonstration am Brandenburger Tor angekündigt hatten. Horst Köhler hob in diesem Rahmen die Freiheit als zentralen Wert hervor.[15]
 
 
Die Ausgestaltung des Tages, an dem des 8. Mai 1945 gedacht wird, ist in Deutschland noch nicht abgeschlossen. Es gibt immer wieder neue Vorschläge hierfür. Im Februar 2010 forderte die Partei „Die Linke“, den 8. Mai zum gesetzlichen Feiertag zu machen.[16]
 
 
Am 8. Mai 2020 hielt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier seine Rede anlässlich des 8. Mai 1945 mit der Kernbotschaft: „Es gibt kein Ende des Erinnerns. Es gibt keine Erlösung von unserer Geschichte. Denn ohne Erinnerung verlieren wir unsere Zukunft."[17]
 
 
RND[18] schrieb am 08. Mai 2020: „Mehr als 80.000 Menschen haben bereits eine Petition unterschrieben, die den Tag des Kriegsendes 1945 zum gesetzlichen Feiertag erklären will. […] Initiiert haben die Petition die Holocaust-Überlebende Esther Bejarano und die Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA). Bejarano, Vorsitzende des Auschwitz-Komitees Deutschland, hatte bereits im Januar einen offenen Brief an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzlerin Angela Merkel geschrieben. “Der 8. Mai muss ein Feiertag werden!”, schrieb sie. “Das ist überfällig seit sieben Jahrzehnten. Und hilft vielleicht, endlich zu begreifen, dass der 8. Mai 1945 der Tag der Befreiung war, der Niederschla­gung des NS-Regimes.” (Zitat Ende). RND schreibt weiter (Zitat): „Zustimmung kam auch von den Linken. Parteichefin Katja Kipping sagte dem RND: “Ob der Tag zum ausgelassenen Feiern, zum stillen Gedenken oder zum Besuch einer Gedenkstätte genutzt wird, hängt dann von jedes einzelnen Familiengeschichte und der jeweiligen persönlichen Verbindungen zu diesem Tag ab. Um eine Verbindung mit diesem Datum in kommenden Generationen zu erhalten, sollte der Tag der Befreiung jedoch als ein besonderer Tag im Bewusstsein verankert werden.”“ Zitat Ende.
 
 
Die AfD ist weitestgehend dagegen, den 8. Mai als gesetzlichen Feiertag zu erklären. RND[19] schreibt (Zitat):
 
 
„Die AfD lehnt Bejaranos Vorschlag hingegen ab. “Man kann den 8. Mai nicht zum Glückstag für Deutschland machen”, sagt Bundestags-Fraktionschef Alexander Gauland (79). Der Tag sei zu ambivalent. “Für die KZ-Insassen ist er ein Tag der Befreiung gewesen. Aber es war auch ein Tag der absoluten Niederlage, ein Tag des Verlustes von großen Teilen Deutschlands und des Verlustes von Gestaltungsmöglichkeit.” Es gäbe Positives am 8. Mai, “aber die in Berlin vergewaltigten Frauen werden das ganz anders sehen als der KZ-Insasse”, sagte Gauland. Der Potsdamer Historiker Martin Sabrow plädiert dafür, den 8. Mai als “Tag der Befreiung und der Beendigung des Zweiten Weltkriegs” zu begehen. Sabrow sagte dem RND: “Die Bundesrepublik Deutschland würde der Entwicklung ihrer Erinnerungskultur angemessen Rechnung tragen, wenn sie den 8. Mai unter dieser Bezeichnung zum gesetzlichen Feiertag erheben und damit zum Ausdruck bringen würde, dass der 8. Mai 1945 ein die Zeiten überdauernder Tag der befreienden Niederlage und des rettenden Zusammenbruchs war.” Zitat Ende.
 
 
Alexander Gauland[20] hatte sich bereits 2018 ziemlich despektierlich über die Zeit 1933-1945 geäußert (Zitat):

 
„Wir haben eine ruhmreiche Geschichte. Daran hat vorhin Björn Höcke erinnert. Und die, liebe Freunde, dauerte länger als die verdammten zwölf Jahre. Und nur, wenn wir uns zu dieser Geschichte bekennen, haben wir die Kraft, die Zukunft zu gestalten. Ja, wir bekennen uns zu unserer Verantwortung für die zwölf Jahre. Aber, liebe Freunde, Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahre erfolgreicher deutscher Geschichte.“
 
Diese Haltung, die durch Politiker*innen der Partei der AfD zum Ausdruck kommt, stellt für mich einen hässlichen Bruch in der Entwicklung der Darstellung einer Erinnerungskultur in Form eines Gedenkens an den 8. Mai 1945 dar.[21]
 
In diese Reihe fragwürdiger Haltungen reiht sich auch Dr. Marc Jongen ein, der seine Haltung zum 8. Mai aus der Aussage von Theodor Heuss aus dem Jahr 1955 rekrutiert. Dr. Jongen schreibt öffentlich auf einer AfD-Webseite (Zitat):

„Der erste Bundespräsident, Theodor Heuss, deutete den 8. Mai 1945 als ,tragischste und fragwürdigste Paradoxie für jeden von uns‘, weil die Deutschen ,erlöst und vernichtet in einem gewesen‘ seien. Heuss sprach von ,Paradoxie‘, nicht aber von ,Befreiung‘, und das mit gutem Grund. Erlöst waren die Deutschen – und die Welt – vom verbrecherischen Regime der Nationalsozialisten und von dem ,totalen Krieg‘, den diese entfesselt hatten; in der Zeit von 1945 bis 1949 wurden viele Deutsche aber weiterhin Opfer von Internierungen und Vertreibungen, von Lynchjustiz, Vergewaltigungen und Zwangsverschleppungen. Schon der Respekt und die Pietät ihnen gegenüber verbietet es, den 8. Mai zum Feiertag zu erheben. Richard von Weizsäcker hat in seiner vielzitierten Rede zum 8. Mai im Jahr 1985 die unzähligen deutschen Opfer von Krieg und Nachkriegszeit ausdrücklich mit einbezogen, als er betonte, dass ,wir als Deutsche‘ ,in Trauer‘ auch ,der eigenen Landsleute, die als Soldaten, bei den Fliegerangriffen in der Heimat, in Gefangenschaft und bei der Vertreibung ums Leben gekommen‘ seien, gedenken. Diejenigen, die seine Rede allein auf den Aspekt der Befreiung engzuführen versuchen, blenden diese Passagen in der Regel aus. Sie passen nicht in die immer dominanter werdende Erzählung, dass Deutsche stets nur Täter, niemals Opfer gewesen seien oder werden könnten. Wenn das rot-rot-grün regierte Berlin als einziges Bundesland den 8. Mai als Feiertag begeht, dann folgt es dem Vorbild der DDR, die diesen zum ,Tag der Befreiung‘ erklärte – ein durchsichtiger Versuch des SED-Staates, die eigene Unfreiheit zu kaschieren. Wer heute in pauschalisierender Weise die Befreiungsrhetorik bedient, muss wissen, in welch zweifelhafte Tradition er sich damit stellt. 75 Jahre nach Kriegsende gilt es, die Ambivalenz der Geschichte auszuhalten und die drohende Ausrichtung unserer Erinnerungskultur an falschen und gefährlichen Simplifizierungen abzuwenden. Denn, so der damalige Bundespräsident Roman Herzog 1995 in seiner Ansprache in Dresden, ,man kann weder Ruhe noch Versöhnung finden, wenn man sich nicht der ganzen Geschichte stellt‘.“[22]
 

Auch die Thüringer AfD ist dagegen, dass der 80. Jahrestag der Befreiung Deutschlands von der Nazi-Herrschaft zum offiziellen Feiertag in Thüringen werden soll. Die AfD lehnt ab und spricht vom „Ende der deutschen Souveränität“.[23]
 

Am 27. März 2025 wurde im Landtag von Brandenburg über die Frage debattiert, (Zitat) „ob der 8. Mai ab dem Jahr 2030 als „Tag der Befreiung“ zu einem gesetzlichen Feiertag werden kann, der im Fünfjahresrhythmus begangen werden soll. Das beschloss der Landtag in Potsdam am Donnerstag mit den Stimmen von SPD und BSW, bei Enthaltung der CDU und gegen die Stimmen der AfD.“[24]
 
 

Aber was will man schon von einer Partei erwarten, in der ein hochrangiger Politiker namens Björn Höcke Mitglied ist, der das Holocaust-Mahnmal am Potsdamer Platz in Berlin im Januar 2017 als "Denkmal der Schande" bezeichnete und der eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" fordert...[25]

Es ist erschreckend, wie hier seitens Politiker der AfD die Erinnerungskultur an die Schreckensherrschaft des NS-Regimes, an die Millionen Opfer an Menschen jüdischen Glaubens, die im Holocaust von deutschen Nazis gefoltert und elendig umgebracht wurden, sowie an weitere Opfer der Nationalsozialisten umgekehrt, gestrichen und letztlich aus dem Gedächtnis der Menschen verbannt werden soll.

Die Erinnerungskultur an den 8. Mai muss stattdessen aufrecht erhalten werden.

"Es gibt kein Ende des Erinnerns. Es gibt keine Erlösung von unserer  Geschichte. Denn ohne Erinnerung verlieren wir unsere Zukunft." (Frank-Walter Steinmeier am 8. Mai 2020).

Das Erinnern und das Gedenken an den 8. Mai als Kapitulation der Wehrmacht Nazi-Deutschlands dürfen nicht umgekehrt werden.

Es geht nicht darum, dass wir als Menschen in Deutschland 2025 in Duckhaltung herumlaufen.

Es kann und darf aber auch nicht darum gehen, den 8. Mai und damit die Schrecken der Nationalsozialisten zu relativieren - in welcher Form auch immer.

Ja, der 8. Mai ist immer noch ein Tag, der leider noch immer keine allgemein verbindliche überparteiliche Form für ein Gedenken (als eine Form der Erinnerungskultur) gefunden hat.

Mit der Haltung der Partei AfD zum 8. Mai 1945 ist es erneut misslungen, eine allgemein verbindliche überparteiliche Form für ein Gedenken als eine Form der Erinnerungskultur zu finden.

Es muss m. E. als bedenklich empfunden werden, wenn man sich 80 Jahre nach 1945 in Deutschland noch immer nicht auf eine einheitliche Form der Erinnerungskultur für ein Gedenken an den 8. Mai 1945 einigen kann.

Einmal abgesehen von der Haltung Björn Höckes, die in keiner Weise akzeptabel, sondern völlig indiskutabel und respektlos den Opfern des Holocaust gegenüber ist, empfinde ich die Haltung der AfD als rückschrittlich und insofern als sehr bedenklich, und zwar im abwertenden Sinne. Die Argumentation, der 8. Mai eigne sich nicht als Feiertag im Sinne eines Freudentages, ist eine fragwürdige und scheinheilige Argumentation und offenbart in Wahrheit die Sichtweise der AfD zur Herrschaft der Nationalsozialisten und damit zur Schreckensherrschaft des NS-Regimes unter Adolf Hitler. Warum und inwiefern? Auch der Karfreitag ist ein Feiertag, aber eben auch kein Freudentag, sondern eher ein Tag der Trauer, und trotzdem ist dieser Tag ein Feiertag. Nicht jeder Feiertag ist eben ein Tag der Freude. Feiertage sind Tage des Gedenkens, wie in diesem Aufsatz eingangs dargestellt wurde. Die Haltung der Politiker der AfD offenbart nun m. E. deren Einschätzung, dass der 8. Mai 1945 vielmehr ein Tag der Niederlage war als weniger ein Tag der Befreiung. Richtig ist zwar, dass es unter den Soldaten der Alliierten auch zu vereinzelten Vergewaltigungen an deutschen Frauen gekommen war. Dies darf und soll natürlich ein Anlass auch zur Trauer sein. Aber hatten wir durch und in der Rede von Bundespräsident Richard von Weizsäcker vom 08. Mai 1985 nicht auch eine Gesamtschau auf die sehr ausführlich genannten Opfer wahrnehmen können? Die Zitierung von Bundespräsident Theodor Heuss aus 1955 durch Dr. Marc Jongen ist nicht rühmlich, nur weil Jongen einen der Bundespräsidenten zitiert. Vielmehr stellt der Bezug auf 1955 und damit auf Theodor Heuss („Paradoxie der Geschichte: erlöst und vernichtet in einem“) eher einen Rückschritt im Finden einer einheitlichen Erinnerungskultur für Deutschland und seine Bewohnerinnen und Bewohner dar.

Rainer Langlitz


 

Anmerkungen zum Text:

[1] Natürlich auch in der direkten Nachkriegszeit.

[2] Deutschland hatte auf die in Casablanca 1943 formulierte Forderung der Alliierten nach bedingungsloser Kapitulation eingehen müssen. Der 8. Mai ist als Tag der Befreiung oder auch als Tag des Sieges (Fête de la Victoire) in einigen europäischen Ländern ein Gedenk- oder Feiertag, an dem als Jahrestag zum 8. Mai 1945 der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht und damit des Endes des Zweiten Weltkrieges in Europa und der Befreiung vom Nationalsozialismus gedacht wird. Er wird als Gedenktag und teilweise als Feiertag mit öffentlicher Beteiligung begangen. Das Kürzel VE-Day (Victory in Europe Day) ist in den USA sowie den drei Commonwealth-Staaten Vereinigtes Königreich, Kanada und Australien üblich. In manchen Ländern findet der entsprechende Gedenktag am 9. Mai statt.

 
[4] In der DDR war der 8. Mai zwischen 1950 und 1966 ein arbeitsfreier Feiertag. Er wurde jährlich als „Tag der Befreiung des deutschen Volkes vom Hitlerfaschismus“ begangen. Ab 1967 war der 8. Mai wieder normaler Werktag. Zum 30. und 40. Jubiläum (1975 und 1985) wurde dieser Tag erneut als Feiertag begangen. Die Festrede am 8. Mai 1985 hielt Horst Sindermann, zu dieser Zeit Präsident der Volkskammer der DDR. Sie war von alten Floskeln der staatlich verordneten Ideologie geprägt, die die DDR nach wie vor an der Seite der Sowjetunion auf der Siegerseite der Geschichte sah. von einem selbstkritischen Nachdenken über den Nationalsozialismus, wie dies Weizsäcker 1985 am selben Tag in der Bundesrepublik tat, war Sindermann weit entfernt. Der Kontrast zur bundesdeutschen Gedenkkultur war deshalb kaum größer denkbar. Huneke, a.a.O., S. 9.

[5] Huneke, a.a.O., S. 6

[6] Zit. nach: Feldkamp, Michael: Der parlamentarische Rat 1948/49 (aus Friedrich Huneke: Der 8. Mai 1945 in Reden deutscher Bundespräsidenten, S. 6.).

[7] Vgl. Huneke, a.a.O., S. 6.

[8] Vgl. Huneke, a.a.O., S. 6.

[9] Vgl. Huneke, a.a.O., S. 6.

[10] Vgl. Huneke, a.a.O., S. 7.

[11] Vgl. Huneke, a.a.O., S. 7.

 

[13] Vgl. Huneke, a.a.O., S. 8.
Huneke geht ausführlich auf die Rede Richard von Weizsäckers vom 08. Mai 1985 ein.

[14] Huneke, a.a.O., S. 9.

[15] Huneke, a.a.O., S. 10

[16] Vgl. Huneke, a.a.O., S. 10.

[17] Link zur Rede von Frank-Walter Steinmeiner vom 08. Mai 2020:


[19] RND, a.a.O.

[20] Link und Quellenangabe:

[21] Ich beziehe mich hierbei auch auf ein Interview mit dem Historiker Michael Schwartz, der die Redebeiträge in einer Landtagsdebatte im Landtag von Brandenburg vom 27. März 2025 analysiert hat. In dieser Debatte ging es um die Frage, ob der 8. Mai ab dem Jahr 2030 als „Tag der Befreiung“ zu einem gesetzlichen Feiertag werden kann, der im Fünfjahresrhythmus begangen werden soll. Schwartz sagte: „Ich finde erstaunlich, wie einseitig die jeweiligen Argumentationen im AfD-Antrag, aber auch im Ursprungsantrag des BSW sind. Bei den Anträgen frappiert, dass man beide Opfergruppen – die Opfer der Nazi-Diktatur und die deutschen Opfer nach Kriegsende - nicht zusammendenkt. Ich dachte, wir sind in der gesellschaftlichen Debatte über den Umgang mit Flucht und Vertreibung der Deutschen inzwischen viel weiter, als es sich in den Anträgen widerspiegelt. Ich verstehe nicht, warum man in die Schützengräben der 1950er Jahre zurück will. Die einen in die frühe DDR, die anderen in die frühe Bundesrepublik. Wir können und müssen die Dinge zusammendenken, nicht voneinander isolieren.“ Zitat Ende.

Link und Quellenangabe:



[23] Vgl. Link:

[24] Link und Quellenangabe:

[25] https://www.dw.com/de/denkmal-der-schande-f%C3%BCr-bj%C3%B6rn-h%C3%B6cke/a-41487274 Björn Höcke (AfD) sagte in absolut despektierlicher Weise: "Wir Deutsche sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande ins Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat."
Vgl. dazu 1:36:49 im unteren YouTube-Video (Rede am 17. Januar 2017 in Dresden vor Zuhörern der "Jungen Alternativen" u. a.): https://www.youtube.com/watch?v=sti51c8abaw



Anmerkung zum Bild:

"Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas, kurz Holocaust-Mahnmal, in der historischen Mitte Berlins erinnert an die rund sechs Millionen Juden, die unter der Herrschaft Adolf Hitlers und der Nationalsozialisten ermordet wurden. Das von Peter Eisenman entworfene Mahnmal besteht aus 2711 quaderförmigen Beton-Stelen. Es wurde zwischen 2003 und Frühjahr 2005 auf einer 19.000 m² großen Fläche südlich des Brandenburger Tors  errichtet. Am 10. Mai 2005 feierlich eingeweiht, ist es seit dem 12.  Mai 2005 öffentlich zugänglich. Im ersten Jahr kamen über 3,5 Millionen  Besucher."

Zitiert nach Wikipedia, Art. "Denkmal für die ermordeten Juden Europas", Aufruf vom 01. Mai 2025.

Link und Quellenangabe:

 
 


Es gibt noch keine Rezension.
Bewertung:
Anzahl von Bewertungen:0
Bewertung:
Anzahl von Bewertungen:0
Bewertung:
Anzahl von Bewertungen:0
Bewertung:
Anzahl von Bewertungen:0
Bewertung:
Anzahl von Bewertungen:0

Zurück zum Seiteninhalt