Pfarrer in Netphen verweigert sich, die Tochter von einer alleinerziehenden Mutter und von einem schwulen Paar zu taufen

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Pfarrer in Netphen verweigert sich, die Tochter von einer alleinerziehenden Mutter und von einem schwulen Paar zu taufen

Rainer Langlitz
Veröffentlicht von Rainer Langlitz in Essays · Sonntag 16 Apr 2023
Pfarrer in Netphen verweigert sich, die Tochter von einer alleinerziehenden Mutter und von einem schwulen Paar zu taufen

Handelt es sich bei beschriebenem Fall um einen Einzelfall oder ist er Ausdruck einer homophoben bzw. konservativen christlichen Kirche, Religion oder gar Gesellschaft?

Man braucht sich nicht zu wundern, wenn immer mehr Menschen der Kirche den Rücken zukehren und/oder ihren Glauben im Privaten leben.

In diesem in der Überschrift genannten Fall aus Netphen im Kreis Siegen-Wittgenstein (Nordrhein-Westfalen) geht es um die gewünschte Taufe von zwei Mädchen: Janie (derzeit 11 Jahre alt) und Yamina (derzeit 10 Jahre alt).

Janie ist die Tochter der alleinerziehenden Xenia Fourniadis: Frau Fourniadis ist Halb-Griechin und gehört der griechisch-orthodoxen Kirche an.

Yamina ist die Tochter von zwei schwulen Vätern: Daniel Nierenz (Rechtsanwalt und Notar) und Klaus J. Stanek. Beide sind nach Angabe der Westfalenpost (Link, hier) vom 14. April 2023 Juristen, wodurch ich auf diesen Fall aufmerksam wurde.

Zitat aus jenem Zeitungsartikel der Westfalenpost:

"Daniel Nierenz rief den Pfarrer an,  um ein Taufgespräch zu vereinbaren. Das ist bei Kindern unter 14 Jahren  auch mit dem Täufling vorgesehen. Wie das denn seine Frau sehe, habe der  Pastor gefragt. Nierenz antwortete, dass seine Frau ein Mann und auch  für Yaminas Taufe sei. Damit sei das Gespräch beendet, habe der Theologe  nach einer längeren Pause gesagt. Sie, die Eltern, würden nicht nach  den Vorgaben Gottes leben, Kinder bräuchten laut der Bibel Vater und  Mutter, also könne das Kind erst getauft werden, wenn es mit 14 Jahren  religionsmündig sei. Yamina sagt: „Ich habe doch entschieden, dass ich getauft werden möchte." Die  beiden Juristen sind seit 30 Jahren ein Paar, heirateten offiziell,  sobald das rechtlich möglich war. Daniel Nierenz ist Rechtsanwalt und  Notar, Stanek sein Büroleiter. „Das diskriminiert das Kind und schließt  es aus der christlichen Gemeinschaft aus“, finden sie. Die Männer selbst  kennen Diskriminierung aufgrund ihrer Homosexualität, auch wenn sie den  Eindruck hatten, dass sich das in den vergangenen Jahren deutlich  entspannt habe."

Zitat Ende.

Jener Pfarrer aus Netphen will wohl auch nicht die Tochter einer alleinerziehenden Mutter taufen, wie man in dem Artikel der Westfalenpost lesen kann (Zitat):

"Zwei Väter? Dann will der Pfarrer die 10-Jährige Yamina nicht  taufen. Ihre Freundin (11) auch nicht: Wohl weil ihre Mutter  alleinerziehend ist. [...] Janies Mutter Xenia Fourniadis ist alleinerziehend, ihr Ex-Partner lehnt  den Kontakt zu seiner Tochter ab, sagt sie im Gespräch, ihren  Lebensgefährten habe der Pfarrer nicht akzeptiert. Auch ihre Abstammung,  sie ist Halbgriechin, sei demnach ein Problem für den Theologen  gewesen, und dass sie der griechisch-orthodoxen Kirche angehört. Laut  Kirchenordnung könnte man das als Grund anführen. Für eine Stellungnahme  dazu ist der Pfarrer nicht erreichbar."

Zitat Ende.

Auf der Website jener Kanzlei des Rechtsanwalts/Notars Daniel Nierenz gibt es zu diesem Fall der beiden schwulen Väter auch mehrere Blogeinträge - so vom 12. und vom 13. April 2023 - mit verschiedenen Kommentaren.
 
 
  • Handelt es sich hierbei um Diskriminierung?

  • Welche Vorbehalte hat der evangelische Pfarrer aus Netphen gegenüber den schwulen Eheleuten, die seit 30 Jahren ein Paar sind?

  • Wie ist hier die theologische und rechtliche Auffassung dieser Landeskirche?

  • In welchen Fällen darf ein Pfarrer den Segenswunsch bzw. ein Sakrament (hier: der Taufe) ablehnen?
             
Handelt es sich bei beschriebenem Fall um einen Einzelfall oder ist er Ausdruck einer homophoben bzw. konservativen christlichen Kirche, Religion oder gar Gesellschaft?

Ich persönlich denke wir leben im Moment in einer Zwischenphase, was die volle Akzeptanz von schwulen bzw. lesbischen Menschen und Paaren anbelangt.
 
Ja, die Akzeptanz ist deutlich gestiegen - zumindest von bestimmten Gesetzen. Aber wir sind noch weit entfernt von einer sozusagen gefühlsmäßigen Akzeptanz. Gesetze müssen in der Gesellschaft ankommen. Gesetze können den einzelnen Menschen schützen: Gesetze sollen Minderheiten vor Diskriminierung schützen.
 
 
Vor allem in den christlichen Kirchen und in manchen anderen Religionen ist die Ablehnung gegenüber schwulen und lesbischen Menschen immer noch riesig groß.
 
 
Wir sehen dies im Moment auch am Fall des Bremer Pastors "Olaf Latzel", der m. E. zurecht erneut vor Gericht steht wegen des Verdachts der Volksverhetzung (der Fall dürfte bekannt sein). Vgl. dazu meine(n) Blogartikel

a) vom 08. September 2021 "Bremer Hetz-Pastor Latzel zu (Un-)recht von Theologie-Professor Raedel als Gutachter vor Gericht gedeckt?" (Link, hier).

b) vom 18. Mai 2022 "Theologie und Rechtsstaat im Widerspruch? Zur Causa Olaf Latzel vor dem Landgericht Bremen" (Link, hier).
 

c) vom 12. Juni 2022: "Bibel gegen Grundgesetz - ein hervorragender Artikel in ZEIT-ONLINE über die Causa Latzel" (Link, hier).
 

Darf eine Zusammenstellung von einzelnen Schreibern zu einem Buch, das vor mehr als 2000 Jahren entstanden ist, zum Maßstab für die gesellschaftliche Behandlung und Begegnung von Menschen heute sein?
 
 
Es kann nicht sein, dass die Ansichten eines 2000-Jahre-alten Buches, das wir Bibel nennen, immer noch zum Maßstab einer heutigen Gesellschaft gemacht wird.
 
 
Das Problem dabei ist, dass die Gefahr des christlichen Fundamentalismus besteht. Zwar versuchen die Amtskirche und ihre Gläubigen weitestgehend Bibel für die heutige gesellschaftliche Situation anzupassen. Dabei besteht jedoch das Problem des "Rosinen-Herauspickens":
 
 
Will man den "Buchstaben der Bibel"? (Fundamentalismus)?
 
 
Oder will man sozusagen "die Tendenz" der Bibel?
 
 
Nehme ich dabei die Bibel ernst oder rede ich die Bibel schön?
 
 
Ich persönlich bin sehr froh, dass ich in einer Zeit lebe, in der es eine Trennung von "Staat und Kirche" gibt.
 
 
Es sollte meiner Meinung nach innerhalb der Gesetze unseres Staates keine den Staatsgesetzen widersprechenden Gesetze aus dem Bereich der Religion geben, vor allem dann nicht, wenn es um die Menschenwürde geht.
 
 
Religionsfreiheit ja!
 
 
Aber Religionsfreiheit darf nicht die Menschenwürde brechen.
 
 
Das Thema "Homosexualität und Religion" stellt dabei ein extrem heikles Thema dar.
 
 
Ich persönlich fände es gut, wenn das Landgericht Bremen im Fall des evangelischen Pastors Olaf Latzel ein Exempel statuieren würde zugunsten eines Signals, wie wir in Deutschland zukünftig im Bereich "Kirche, Religion und Homosexualität" mit Menschen umgehen möchten, die das gleiche Geschlecht lieben.
 
 
Insofern macht auch mich der oben beschriebene Fall der Verweigerung der Taufe durch den Pfarrer aus Netphen betroffen.
 
 
Wir leben - wie gesagt - was das Thema Akzeptanz von gleichgeschlechtlich empfindenden Menschen in einer Entwicklung:
 
 
Der Staat hat einiges getan, um die Rechte von Schwulen und Lesben anzupassen.
 
 
Gefühlsmäßig aber hinken leider viele Menschen gesellschaftlich diesem Anspruch noch immer hinterher...und die christlichen Kirchen bzw. die meisten Religionen sowieso.
 
 
Der Fall der 10-jährigen Tochter des schwulen Ehepaares, Yamina, dürfte nun gut ausgegangen sein: eine Pfarrerin aus Siegen hat die Taufe vorgenommen.

Abschließendes Zitat aus dem o. g. Artikel der Westfalenpost vom 14. April 2023:

Nach den Taufgesprächen fand am Ostermontag Yaminas Taufe in der Stadtkirche in Bad Berleburg statt, was der Kirchenkreis ausdrücklich begrüßt. Ihr Taufspruch ist Matthäus 7, 1: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“. Pfarrer lehnt weitere Taufe ab: Weil die Mutter alleinerziehend und nicht evangelisch ist. Es war eine schöne Taufe, findet Yamina. Vor allem, weil sie zusammen mit  ihrer besten Freundin Janie getauft wurde: Auch die 11-Jährige wollte  sich gern taufen lassen – und auch sie lehnte der Netphener Gemeindepfarrer ab."

Zitat Ende.

Interessant ist dann aber doch Folgendes, was in jenem Artikel der Westfalenpost auch zu lesen ist (Zitat):

"Die Evangelische Kirche hat dazu eine klare Meinung, von der der Netphener Pfarrer gründlich abweicht. „Die Taufe bedeutet, dass einem Menschen Gottes Liebe und sein Segen ohne jede Voraussetzung zugesprochen werden. Das kann in jedem Alter geschehen“, schreibt der Kirchenkreis Siegen in einer Stellungnahme. Bei Kindern unter 14 Jahren entscheiden die Eltern über deren Taufe. Genaueres regelt die Kirchenordnung: Der Pfarrer müsse entscheiden, ob ein Grund gegen die vorzeitige Taufe vorliegt – beide Elternteile gehören nicht der evangelischen Kirche an; die evangelische Erziehung des Kindes ist nicht gewährleistet; die Eltern lehnen das Taufgespräch ab und sorgen nicht für geeignete Paten. All das trifft in Yaminas Fall nicht zu. „Die Lebensform der Familie des Täuflings ist kein Kriterium für die Ermöglichung seiner Taufe“, betont der Kirchenkreis. Der Pfarrer habe wohl eine Analogie zur gleichgeschlechtlichen Ehe gezogen, hierüber sei man mit ihm im Gespräch. Auch aus der Gemeinde wurden bereits Stimmen laut, die das Verhalten des Geistlichen nicht nachvollziehen können. Mit seiner Haltung dürfte der Netphener Pastor in der Kirche ziemlich allein dastehen. Klaus J. Stanek bekam durch Zufall Kontakt zu einer Berleburger Pfarrerin, „das war für sie überhaupt kein Problem“, sagt er. Nach den Taufgesprächen fand am Ostermontag Yaminas Taufe in der Stadtkirche in Bad Berleburg statt, was der Kirchenkreis ausdrücklich begrüßt. Ihr Taufspruch ist Matthäus 7, 1: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“."

Zitat Ende.

Was ist also daran - wie ich finde - interessant?

1.) Wie reagiert(e) der Kirchenkreis Siegen?
2.) Was sagt konkret die Kirchenordnung dieser Landeskirche zur Taufe?
3.) Warum konnte die Pfarrerin aus Berleburg die 10-jährige Yamina am Ostermontag taufen, jener Pfarrer aus Netphen aber nicht?
4.) Inwiefern könnte in diesem Zusammenhang Mt. 7,1 als Taufspruch interessant sein?

In einem Kommentar auf dem Blog der beiden Juristen Nierenz und Stanek lese ich (Zitat):

"Das ist einfach in der heutigen Zeit nur armselig. Wir leben nicht mehr im Mittelalter. auch die Kirche sollte das inzwischen verstanden haben. Noch ein Grund der Kirche den Rücken zu kehren."

2007 standen 130.000 Austritten aus der evangelischen Kirche ca. 60.000 Ein- und Übertritte gegenüber, in der römisch-katholischen Kirche 93.000 Austritte gegenüber 10.000 Eintritten. [Vgl. dazu Wikipedia, Art. Kircheneintritt (Aufruf vom 16.04.2023) (Link, hier)].

Im Jahr 2021 sind 639.338 Menschen aus der katholischen/protestantischen Kirche ausgetreten. [Vgl. dazu Wikipedia, Art. Kirchenaustritt (Aufruf vom 16.04.2023) (Link, hier)].


Rainer Langlitz


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