"KÜNDIGUNG des 2+4-Vertrages - OSTDEUTSCHLAND schon bald russisch besetzt?" - Die Verbreitung von Unwahrheiten, Teilwahrheiten und Desinformation im Internet. Wie erklären sich Motivation und Absicht solcher Internetbeiträge?
Veröffentlicht von Rainer Langlitz in Essays · Sonntag, 30. Juni 2024 · 7:00
Am 29. Juni 2024 bemerkte ich einen Beitrag im Internet mit dem Titel:
"KÜNDIGUNG des 2+4-Vertrages - OSTDEUTSCHLAND schon bald russisch besetzt?"
Link und Quellenangabe:
Dieser Internetbeitrag ist Teil eines Youtube-Kanals, der von dem Schweriner Reinhard Meiser betrieben wird. Dieser Youtube-Kanal von Meiser nennt sich InfoBox und hat zum Stand 30. Juni 2024 26.300 Abonnenten.
Meiser präsentiert in diesem Youtube-Beitrag u. a. zwei Videos, die dem Konsumenten seines Videos den Input bringen sollen:
a) Russland beabsichtigt, den sog. 2+4-Vertrag zu kündigen.
b) Russland wird demnächst wieder das frühere DDR-Gebiet besetzen.
Zunächst fand ich ja den Beitrag von Reinhard Meiser durchaus reißerisch. Dann fragte ich mich jedoch:
"Wie soll denn das gehen, dass Russland durch Kündigung des 2+4-Vertrages erneut das frühere DDR-Staatsgebiet zur Besatzungszone erklärt?"
"Wie soll denn das gehen, dass Russland durch Kündigung des 2+4-Vertrages erneut das frühere DDR-Staatsgebiet zur Besatzungszone erklärt?"
Es ist durchaus faszinierend für meine Begriffe, wie hier ein Mann aus Schwerin mit Namen Reinhard Meiser in aller Öffentlichkeit Youtube-Videos produziert und diese journalistisch vermarktet. Faszinierend ist natürlich auch, wie man aufgrund solcher Videos zu 26.300 Abonnenten gelangen kann. Es kommt einem so vor, dass sich Meiser hier wie ein quasi Tagesschau-Sprecher 2.0 bzw. wie ein Tagesschau-Journalist gerieren möchte: die blaue Weltkarte soll ggf. darauf hindeuten.
Dass nun völkerrechtliche Verträge (wie der 2+4-Vertrag ja durchaus einer ist) gekündigt werden können, fand ich nachvollziehbar.
Dass es jedoch dazu kommen könnte, dass Russland nun erneut ostdeutsche Gebiete besetzen könnte, war mir sehr suspekt.
Was könnten denn Fakten zu diesem Videobeitrag von Reinhard Meiser sein?
Dazu hat Max Gilbert am 19. April 2024 in BR24 einen Artikel veröffentlicht mit der Überschrift (Zitat):
"Wie Russland Propaganda zum Zwei-plus-Vier-Vertrag streut. Russische Politiker stellen einen zentralen Vertrag der deutschen Einheit infrage. Die Propaganda gelangt über prorussische Influencer auch in deutsche Timelines. Sogar im Bundestag wird die russische Argumentation aufgegriffen."
"Wie Russland Propaganda zum Zwei-plus-Vier-Vertrag streut. Russische Politiker stellen einen zentralen Vertrag der deutschen Einheit infrage. Die Propaganda gelangt über prorussische Influencer auch in deutsche Timelines. Sogar im Bundestag wird die russische Argumentation aufgegriffen."
Gilbert scheint gut recherchiert zu haben.
Er kommt zu folgendem Fazit (Zitat):
"Für eine Kündigung des Zwei-plus-Vier-Vertrags seitens Russland gibt es laut Völkerrechtlern keinen Anlass. Deutschland hält sich an den Vertrag, die Waffenlieferungen an die sich verteidigende Ukraine stehen im Einklang mit dem Völkerrecht. Selbst wenn Russland den Vertrag einseitig kündigen würde, hätte das keine reellen Konsequenzen für Deutschland. Behauptungen und Forderungen, den Vertrag zu kündigen, hatte Russland über seine Staatsmedien verbreitet. Sie wurden von Pro-Kreml-Influencern bis in die deutschsprachigen Timelines gestreut. Auch ein AfD-Abgeordneter griff die russische Argumentation auf und verbreitete sie in einer Bundestagsdebatte."
"Für eine Kündigung des Zwei-plus-Vier-Vertrags seitens Russland gibt es laut Völkerrechtlern keinen Anlass. Deutschland hält sich an den Vertrag, die Waffenlieferungen an die sich verteidigende Ukraine stehen im Einklang mit dem Völkerrecht. Selbst wenn Russland den Vertrag einseitig kündigen würde, hätte das keine reellen Konsequenzen für Deutschland. Behauptungen und Forderungen, den Vertrag zu kündigen, hatte Russland über seine Staatsmedien verbreitet. Sie wurden von Pro-Kreml-Influencern bis in die deutschsprachigen Timelines gestreut. Auch ein AfD-Abgeordneter griff die russische Argumentation auf und verbreitete sie in einer Bundestagsdebatte."
Zitat Ende.
Link und Quellenangabe:
Man fragt sich an dieser Stelle, wie es möglich sein kann, dass ein Youtuber wie Reinhard Meiser zur Verbreitung solcher Informationen beitragen kann.
Und man fragt sich sicherlich auch, mit welcher Motivation bzw. mit welcher Absicht die Veröffentlichung solcher Youtube-Beiträge geschieht.
Soll hier dazu beigetragen werden, die Berichterstattung offizieller deutscher Medien schlecht zu reden bzw. zu diffamieren?
Vieles verschwimmt mittlerweile innerhalb des Mediums Internet. Man muss sich wirklich fragen, welchen Meldungen man überhaupt noch Glauben schenken darf.
Interessant ist in diesem Zusammenhang aber auch, dass es diese Thematik um die Kündigung des 2+4-Vertrages durch Russland auch bis in den Deutschen Bundestag geschafft hat. So schreibt Gilbert (a.a.O., Zitat):
"Zwei-plus-Vier-Vertrag: Thema in rechtsextremem Medium und bei AfD-Bundestagsrede:
"Zwei-plus-Vier-Vertrag: Thema in rechtsextremem Medium und bei AfD-Bundestagsrede:
Nach der Berichterstattung durch die russischen Staatsmedien haben auch andere Akteure die angeblich geplante Kündigung des Zwei-plus-Vier-Vertrags aufgegriffen. Auf seinem Youtube-Kanal widmet das rechtsextreme Politik-Magazin "Compact" dem Thema am 22. Februar eine halbstündige Sendung. Zu Gast ist der ehemalige AfD-Politiker André Poggenburg.
Zu der angeblich diskutierten Kündigung des Vertrags sagt er, dass Deutschland - auch wegen seiner Ukraine-Politik - letztlich Anstoßgeber sei, dass Russland kündigen möchte: "Die Initiative kommt in dem Sinne gar nicht von Russland, die Initiative kam durch Vertragsverletzungen hier aus Deutschland". Deutschland verletze den Vertrag und das sei also der Grund, warum Russland kündigen wolle. Poggenburgs Aussagen ähneln denen, die am Vortag in den russischen Staatsmedien aufkamen.
Die von Russland ausgehende Diskussion um den Zwei-plus-Vier-Vertrag findet am gleichen Tag sogar ihren Weg in den Bundestag. In der Plenardebatte am 22. Februar über den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine erwähnt der AfD-Abgeordnete Matthias Moosdorf den Vertrag.
Im Hinblick auf diskutierte Waffenlieferungen verweist er auf Artikel 2 des Vertrags. "Danach hat Deutschland sich dazu verpflichtet, dass von seinem Territorium nur noch Frieden ausgeht", sagt Moosdorf. Darüber werde auch in der Duma, dem russischen Unterhaus, diskutiert.
Wie die prorussischen Influencer unterschlägt auch der AfD-Politiker Moosdorf den Zusatz in Artikel 2, dass der Einsatz deutscher Waffen erlaubt ist, wenn er im Einklang mit dem Völkerrecht steht. Das ist bei der Unterstützung der Ukraine der Fall.
Völkerrechtler: Waffenlieferung völkerrechtskonform, widersprechen nicht Vertrag
"Die Formulierungen in Artikel zwei sagen eigentlich nur, dass sich das vereinte Deutschland völkerrechtskonform verhalten wird", erklärt Thilo Marauhn im Interview mit dem #Faktenfuchs. Er ist Professor für Öffentliches Recht und Völkerrecht an der Universität Gießen und Leiter der Forschungsgruppe Völkerrecht des Leibniz-Instituts für Friedens- und Konfliktforschung (PRIF).
"Russland hat die Ukraine unter Verstoß gegen das Gewaltverbot der Charta der Vereinten Nationen angegriffen. Die Ukraine übt vor dem Hintergrund dieses bewaffneten Angriffs ihr Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 der Charta aus. Und die Bundesrepublik hat das Recht, die Ukraine dabei zu unterstützen." Thilo Marauhn, Professor für Völkerrecht
Im Grunde regele der Zwei-plus-Vier-Vertrag an dieser Stelle lediglich, was ohnehin allgemeines Völkerrecht sei, so Marauhn. Dass die Waffenlieferungen an die Ukraine damit in Einklang stehen, ist unter Völkerrechtlern Konsens, wie auch aus diesem Faktencheck der AFP zum Thema hervorgeht.
Warum hat Moosdorf den Zwei-plus-Vier-Vertrag und die Diskussion in der Duma dennoch erwähnt? Die Berichte der russischen Medien vom Vortag seien "allein natürlich nicht" der Grund für die Erwähnung, schreibt Moosdorf auf Anfrage des #Faktenfuchs. Er verweist auch auf einen Brief von russischen Abgeordneten an die Mitglieder des Bundestags und darauf, "dass die deutsche Haltung in ihrem eskalatorischen Potenzial in Russland – vor allem vor dem Hintergrund der gemeinsamen Geschichte, von zwei Weltkriegen bis zur Wiedervereinigung - sehr kritisch gesehen wird".
Auf die Frage, warum er unerwähnt ließ, dass Artikel 2 des Vertrags den Einsatz von Waffen in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht zulässt, antwortet Moosdorf nicht direkt. Stattdessen schreibt er von "gegenteiligen Versprechen" der "Parteien der Ampel" im Wahlkampf 2021. Moosdorf lenkt die Aufmerksamkeit von der eigentlichen Frage zum Vertragsaspekt weg - hin zum Wahlkampf 2021, der noch vor dem russischen Angriff stattfand."
Zitat Ende.
Leider wird an dieser Stelle auch die Verstrickung zwischen der deutschen Partei AfD und der Propaganda aus Russland deutlich.
Fakt scheint jedoch zu sein, dass sich auch der Wissenschaftliche Dienst mit dieser Frage der "Loslösung von völkerrechtlichen Verträgen – am Beispiel des Zwei-plus-Vier-Vertrags von 1990" beschäftigt hatte, was durch den folgenden Link deutlich wird:
So wird in Abschnitt 1 dieser Ausarbeitung ausgeführt (Zitat):
"Gegenstand des vorliegenden Sachstandes ist die Frage, ob und inwieweit eine Kündigung des Vertrags vom 12. September 1990 über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland (sogenannter „Zwei-plus-Vier-Vertrag“1) völkerrechtlich möglich ist. Anhaltspunkte dafür, dass eine der Vertragsparteien des Zwei-plus-Vier-Vertrags – etwa die Russische Föderation – tatsäch-
"Gegenstand des vorliegenden Sachstandes ist die Frage, ob und inwieweit eine Kündigung des Vertrags vom 12. September 1990 über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland (sogenannter „Zwei-plus-Vier-Vertrag“1) völkerrechtlich möglich ist. Anhaltspunkte dafür, dass eine der Vertragsparteien des Zwei-plus-Vier-Vertrags – etwa die Russische Föderation – tatsäch-
lich Kündigungs- oder „Austrittsambitionen“ hegt, gibt es, soweit ersichtlich, keine. Die nachfolgende rechtliche Prüfung, die gutachterlich sämtliche Alternativen einer „Loslösung“ von Verträgen beleuchtet, bleibt daher eher akademischer Natur."
Zitat Ende.
Dass teilweise und immer wieder Unwahrheiten, Teilwahrheiten bzw. Desinformation verbreitet werden, scheint mit kein typisch nationales Phänomen zu sein, sondern ein menschliches. Es gibt eben bestimmte Menschen, die es lieben, aus bestimmten Gründen reißerische Meldungen herauszuhauen, herauszuposaunen und damit in die Welt zu setzen. Teilweise ist jenen Menschen, die solche problematischen Informationen in die Welt setzen, das Mittel der Angst opportun: Angst zu verbreiten scheint diesen Menschen angebracht zu sein. Sie spielen mit der Angst der Menschen. Im anderen Fall geht es diesen Menschen um reine Klicks, um die Erhöhung der Abonnenten-Anzahl und damit schlichtweg um Geldmacherei. Im dritten möglichen Fall geht es solchen Mensch wie Reinhard Meiser ggf. um eine Profilierungssucht: man will sich als jemand darstellen, der die eigentlich wichtigen Nachrichten präsentiert.
Rainer Langlitz
Es gibt noch keine Rezension.