Die Rede Steinmeiers vom 27. Dezember 2024 und das damit verbundene Problem des eigenen Anspruchs
Veröffentlicht von Rainer Langlitz in Essays · Samstag, 28. Dezember 2024 · 11:00
In seiner Rede zur Auflösung des Bundestages bringt Steinmeier in widersprüchlicher Weise beim zukünftigen Wahlkampf seine Absage an eine Einflussnahme von außen zum Ausdruck - verbunden mit seiner Antizipation, dass die Wahl am 23. Februar 2025 knapp ausgehen könnte, und verbunden mit seiner Absage an Elon Musk, die Wählerinnen und Wähler in Deutschland dahingehend zu beeinflussen, bei der kommenden Wahl die Stimme der rechtspopulistischen Partei AfD zu geben. Damit widerspricht Steinmeier seinem eigenen Appell, denn Steinmeier ruft dazu auf, weder offen noch verdeckt auf die Wahl Einfluss zu nehmen, und tut es in ein und derselben Rede indirekt bzw. verdeckt selbst.
Zunächst zur Rede Steinmeiers:
Link zu Rede bei phoenix:
"Bundespräsident Steinmeier löst Bundestag auf | Rede am 27.12.2024"
Am 27. Dezember 2024 verkündete Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier demnach seine Entscheidung zur Auflösung des Bundestages. In seiner Rede betonte Steinmeier ein bestimmtes Ziel der vorgezogenen Bundestagswahl, nämlich politische Stabilität durch eine zukünftige Regierung, die zukünftig in der Lage sein müsse, die Probleme Deutschlands zu lösen. Steinmeier sprach in einem eindringlichen Appell an alle, die sich direkt oder indirekt am Wahlkampf beteiligen, davon, dass es beim bevorstehenden Wahlkampf um Folgendes gehen müsse:
a) Fairness und Transparenz.
b) Warnung vor Einflussnahme von außen.
c) Absage an Hass und Gewalt.
In Bezug auf das Ziel und den Zweck der vorgezogenen Neuwahl des Bundestages spricht Steinmeier von der Notwendigkeit einer zukünftigen handlungsfähigen Regierung und von einer verlässlichen Mehrheit im Parlament.
Folgende Probleme Deutschlands spricht Steinmeier an:
- die wirtschaftlich unsichere Lage, in der Unternehmen in Schwierigkeiten geraten, Arbeitsplätze gefährdet sind.
- die Kriege im Nahen Osten und in der Ukraine, deren Auswirkungen auch bei uns zu spüren sind.
- die drängenden Fragen von Zuwanderung und Integration
- der Klimawandel, dessen Folgen auch uns immer stärker treffen
- das friedliche und sichere Zusammenleben in unserem Land
Das Problemlösen müsse wieder zum Kerngeschäft von Politik werden.
Bei Punkt a) spricht Steinmeier von einem „Wettstreit im Wahlkampf“, den unsere Demokratie aushalte und den unsere Demokratie auch brauche. Notwendig sei innerhalb dieses Wettstreits, dass er mit Respekt und Anstand geführt werde. Dies sei schon deswegen wichtig, weil nach dem Wahlkampf die „Kunst des Kompromisses“ gefragt sein werde, um eine stabile Regierung zu bilden.
Bei Punkt b) spricht Steinmeier von einer Gefahr für die Demokratie, wenn Einfluss von außen auf die Wahlen genommen werde:
- verdeckt wie offenbar kürzlich bei den Wahlen in Rumänien.
- offen und unverhohlen wie derzeit auf der Platform X.
Steinmeier wörtlich: „Ich wende mich entschieden gegen alle äußeren Einflussversuche. Die Wahlentscheidung treffen allein die wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger in Deutschland.“
Exkurs:
Was war bei Wahl in Rumänien passiert?
Dazu schreibt Silke Hahne (Tagesschau) in einem Online-Artikel bei Tagesschau.de (Zitat):
„Profitiert haben soll davon allen voran der rechtsextreme parteilose Kandidat Calin Georgescu. Der Verfassungsexperte Liviu Draganescu hält die Entscheidung der Richter für richtig: "Es erscheint fair, das gesamte Verfahren zu annullieren, nicht nur die erste Runde der Präsidentschaftswahlen, weil die Informationen des Obersten Rates für Landesverteidigung zeigen, dass es staatliche und nicht-staatliche Eingriffe in den Wahlprozess in Rumänien gab.
Das rumänische Verfassungsgericht versetzt das Land erneut in eine nie da gewesene Situation. Die obersten Richter erklärten heute in einem historischen Urteil die Präsidentenwahl für ungültig, nachdem sie die Ergebnisse Anfang der Woche noch bestätigt hatten. Hintergrund dürften Dokumente der Geheimdienste sein, denen zufolge Rumänien Ziel eines "aggressiven russischen hybriden Angriffs" geworden sei. […]
Die Geheimdienste hatten unter anderem festgestellt, dass Tausende zuvor inaktive TikTok-Konten vor der Wahl plötzlich angefangen hatten, Georgescus Inhalte massenhaft zu verbreiten. Obwohl sein Konto nur wenige Abonnenten hatte, wurden seine Videos teils millionenfach angeschaut. Zudem soll Georgescu falsche Angaben über die Finanzierung seines Wahlkampfes gemacht haben. Mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft. […]
Die Sozialdemokratische Partei begrüßte das Urteil der Verfassungsrichter. Deutliche Kritik kommt hingegen von anderen Parteien. Darunter von der liberalen USR. Deren Kandidatin Elena Lasconi wäre am Sonntag in der Stichwahl gegen Calin Georgescu angetreten. "Heute ist der Moment, in dem der rumänische Staat die Demokratie mit den Füßen getreten hat. Gott, das rumänische Volk, die Wahrheit und das Recht werden sich aber durchsetzen und man wird diejenigen finden, die schuldig sind an der Zerstörung unserer Demokratie", ist sich Lasconi sicher. "Es geht hier nicht um mich. Die Demokratie bricht zusammen. Ihr zerstört die Demokratie. Ihr stürzt das Land in die Anarchie. [...]
Lasconi räumt ein, dass die Wahl nicht frei war. Das Eingreifen des Gerichts hält sie dennoch für falsch. Der rechte Politiker George Simion sprach sogar von einem Staatsstreich. Auch Simion war in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl angetreten. Er und alle anderen Kandidaten für die Wahl müssen sich nun erneut für den Wahlvorgang registrieren. Das Verfassungsgericht wird dann entscheiden, welche Kandidaten für die Wahl zugelassen werden.“
Link und Quellenangabe:
Exkurs Ende.
Bei Punkt c) spricht Steinmeier von „Verunglimpfung, Einschüchterung und Gewalt“, was sowohl vor als auch nach einer Wahl schädlich für unsere Demokratie sei. Steinmeier wörtlich: „Wir müssen Gewalt ächten. Das erwarte ich von allen, die sich um Verantwortung bewerben.“
Abschließend erfolgt ein Aufruf von Steinmeier an alle wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger, zur Wahl zu gehen, die für uns alle nicht einfach sei:
- nicht für die Alten, deren Gewissheiten durch die Krisen der Welt erschüttert sind.
- nicht für die Alten, deren Gewissheiten durch die Krisen der Welt erschüttert sind.
- nicht für die Jungen, die mit Skepsis in die Zukunft schauen.
- nicht für die, die zugewandert sind.
- nicht für die, die frustriert oder enttäuscht sind, weil sie nicht gesehen oder gehört werden.
Steinmeier wörtlich in seiner Rede: „Aber wir brauchen Sie alle! Deswegen bitte ich Sie: Gehen Sie wählen und wählen Sie in dem Bewusstsein, dass Ihre Stimme die entscheidende sein könnte. Schützen und stärken wir unsere Demokratie!“
Nun kurz zur Funktion des Bundespräsidenten:
Der Bundespräsident hat in seiner Funktion als Staatsoberhaupt unter anderem folgende Aufgaben und Kompetenzen:
- Er ordnet die Staatssymbole an (Art. 22 II GG).
- Er beruft den Bundestag (abweichend von den Parlamentsbeschlüssen) (Art. 39 III 3 GG).
- Er vertritt den Bund völkerrechtlich (Art. 59 I 1 GG).
- Er beglaubigt diplomatische Vertreter (Art. 59 I 2 GG).
- Er ernennt und entlässt Bundesrichter, Bundesbeamte, Offiziere und Unteroffiziere, sofern nichts anderes durch Anordnungen und Verfügungen bestimmt ist (Art. 60 I GG).
- Er hat auf Bundesebene das Begnadigungsrecht, welches er allerdings teilweise an andere Bundeseinrichtungen delegiert hat; er kann aber keine Amnestie aussprechen (Art. 60 II GG).
- Er schlägt dem Deutschen Bundestag einen Kandidaten als Bundeskanzler zur Wahl vor, ernennt und entlässt ihn (Art. 63 I 1 GG).
- Nach dreimalig gescheiterter Kanzlerwahl (Art. 63 IV 3 GG) oder nach einer gescheiterten Vertrauensfrage hat er die Entscheidung zur Auflösung des Deutschen Bundestages (Art. 68 I GG).
- Auf Vorschlag des Bundeskanzlers ernennt und entlässt er Bundesminister (Art. 64 I 1 GG).
- Er genehmigt die Geschäftsordnung der Bundesregierung (Art. 65 I 4 GG).
- Er fertigt Bundesgesetze durch seine Unterschrift aus und lässt sie durch Bekanntmachung im Bundesgesetzblatt verkünden (Art. 82 I 1 GG).
- Er verkündet, dass der Verteidigungsfall festgestellt worden und eingetreten ist (Art. 115a IV 3 GG), und er gibt völkerrechtliche Erklärungen ab, wenn ein Angriff erfolgt (Art. 115a V 1 GG); der Bundespräsident hat insofern allein die Funktion der Kriegserklärung.
- Er beruft eine Parteienfinanzierungskommission nach dem Parteiengesetz ein (§ 18 VI Parteiengesetz).
- Er veranlasst Staatsakte aus wichtigem Anlass.
Kommentar zur o. g. Rede Steinmeiers vom 27. Dezember 2024:
Man erkennt in der Rede des Bundespräsidenten vom 27. Dezember 2024 eine Befürchtung in zweifacher Hinsicht:
a) Die Bundestagswahl am 23. Februar 2025 könnte sehr knapp ausgehen.
b) Der Wahlkampf um die Bundestagswahl am 23. Februar 2025 könnte von außen mehr oder weniger stark beeinflusst werden.
Der Hinweis für a) ist in der Aussage zu erkennen, dass er dazu aufruft, in dem Bewusstsein zu wählen, dass die eigene Stimme entscheidend sein könnte, was andererseits natürlich auch eine Motivation sein soll, überhaupt zur Wahl zu gehen.
Den Hinweis für b) spricht Steinmeier offen an: Die Platform X, wobei vonseiten Steinmeiers sehr wahrscheinlich an Elon Musk und dessen Eingreifen in den deutschen Wahlkampf zugunsten der AfD gedacht wird:
„Steinmeier nimmt bei Rede Elon Musk und X ins Visier"
„Musk greift wieder zugunsten der AfD in den deutschen Wahlkampf ein"
In einem Gastbeitrag in der "Welt am Sonntag" bezeichnete Elon Musk die AfD als den "letzten Funken Hoffnung". Die Chefin des Meinungsressorts kündigte daraufhin.
„Elon Musk unterstützt plötzlich AfD: Lindner macht ihm Gegenvorschlag – und wird persönlich“
Wie war das eigentlich vor kurzem bei der Wahl zum US-Präsidenten? Gab es etwa dort keine Einflussnahme von außen?
Nur zwei Links möchte ich dazu anführen. Es ließen sich aber sicherlich ganze Kapitel von derartigen Links füllen:
Tagesschau am 03. November 2024: „Trump vs. Harris. Wie die deutsche Politik auf die US-Wahl blickt“
„Mit Sorge und Anspannung schauen viele in Deutschland auf die Präsidentschaftswahl in den USA. Die Demokratin Harris genießt deutlich mehr Sympathien als der Republikaner Trump. Es steht viel auf dem Spiel.“
US-Wahl 2024: Wirklich noch mal Trump, Amerika? Ingo Zamperoni in den USA | Doku | ARD
Von daher kann ich derzeit die Ursache dafür, dass sich Bundespräsident Steinmeier derartig direkt und vehement gegen eine Einflussnahme von Elon Musk ausspricht, nur darin erkennen, dass bei ihm und bei vielen deutschen Politikern die Angst vor einem rechtsgerichteten Wahlausgang umgeht.
Eine andere Lesart, nach der Steinmeier mit Annullierung der Wahl drohe, wenn rechte Parteien gewinnen würden, halte ich für etwas weit hergeholt, aber trotzdem für nicht ganz abwegig.
Vermietertagebuch – Alexander Raue:
„Steinmeier droht mit Annullierung der Wahl, wenn rechte Parteien gewinnen!“
"Frank-Walter Steinmeier droht bei Neuwahlen mit rumänischer Lösung"
Diese andere Lesart von Alexander Raue und von Mario Thurnes (sc. Autor bei Tichys Einblick) passt in den Gedankengang zu meinem obigen Kommentar hinein:
Zunächst ist zu sagen, dass in einer funktionierenden Demokratie Wahlen nicht aufgrund des Wahlergebnisses bzw. aufgrund der Stimmabgabe der Wählerin bzw. des Wählers angefochten oder gar annulliert werden, sondern allenfalls, wenn Formalien bei der Wahl nicht erfüllt gewesen sind.
Wahlen müssen demnach in einer Demokratie nach den Grundsätzen „allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim“ erfolgen.
Das wissen wir alle.
Der Grundsatz "Freie Wahlen" bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Bürgerinnen und Bürger in ihrer Wahlentscheidung nicht beeinflusst oder unter Druck gesetzt werden dürfen. Der Grundsatz der Freiheit der Wahl gewährleistet, dass der Wähler seinen wirklichen Willen unverfälscht zum Ausdruck bringen, vor allem sein Wahlrecht ohne Zwang oder sonstige unzulässige Beeinflussung von außen ausüben kann. Hierzu gehört auch das Recht, nicht zu wählen.
Link und Quellenangabe:
Die Freiheit der Wahl soll die Wählerinnen und Wähler vor Beeinträchtigungen ihrer Willensentscheidung schützen; sie müssen ihre Stimme ohne Druck oder Zwang von staatlicher wie nicht staatlicher Seite abgeben können. Zugleich verlangt der Grundsatz ein konkurrierendes Angebot von Parteien und Kandidierenden. Das Vorschlagsrecht für letztere darf dabei nicht ausschließlich bei den Parteien liegen bzw. dort, wo die Parteien die Kandidierenden aufstellen, allein von deren Führungsgremien ausgeübt werden. Ob zur Freiheit der Wahl auch das Recht gehört, nicht zu wählen, ist umstritten. Eine gesetzliche Wahlpflicht, wie sie etwa in Belgien besteht, wäre zwar ein geeignetes Mittel gegen niedrige oder sinkende Wahlbeteiligungen; sie würde aber der deutschen Verfassungstradition widersprechen.
Link und Quellenangabe:
Worin Alexander Raue nicht ganz Unrecht hat, liegt eventuell in der Interpretation, dass hier in der Rede Steinmeiers indirekt ein Aufruf und Appell zu erkennen ist, keine rechtspopulistische Partei zu wählen. Es könnte sich dabei um eine verdeckte Einflussnahme Steinmeiers handeln, die gerade er, Steinmeier, in dieser Rede und in seiner Funktion als Bundespräsident ausschließen möchte.
Das Problem der Rede des Bundespräsidenten besteht damit möglicherweise in einem inneren Widerspruch: Steinmeier ruft dazu auf, weder verdeckt noch offen auf die Wählerinnen und Wähler Einfluss zu nehmen, und tut dies mit und in dieser Rede trotzdem selbst, nämlich Einfluss auf die Wählerinnen und Wähler zu nehmen.
Steinmeier wird damit seinem eigenen Anspruch in Bezug auf die Botschaft seiner Rede und in der Funktion des Bundespräsidenten nur zum Teil gerecht.
Rainer Langlitz
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