Versuch der Einschätzung/Analyse des Angriffs der USA auf iranische Atomanlagen in der Nacht vom 21. auf den 22. Juni 2025
Veröffentlicht von Rainer Langlitz in Essays · Sonntag, 22. Juni 2025 · 8:30

Der Angriff der USA auf iranische Atomanlagen in der Nacht des 21. auf den 22. Juni 2025 (Samstag auf Sonntag) kann im Wesentlichen in drei Aspekten gesehen werden:
1.) Klare Positionierung der USA zugunsten einer Unterstützung Israels.
2.) Militärisches Diktat: die USA bestimmen, welcher Krieg rechtmäßig geführt werden darf.
3.) Russland könnte dem Westen nun in erheblichem Maße Doppelmoral vorwerfen.
zu 1.)
Der Angriff der USA auf iranische Atomanlagen zeigt deutlich, dass Konflikte bzw. Kriege immer (!) in einem geschichtlichen Zusammenhang von Ursache(n) und Folgewirkung(en) stehen. Seit der Gründung des Staates Israel herrscht der sog. "Nahostkonflikt" als einer der komplexesten und langlebigsten Konflikte der Welt, der geprägt ist durch:
- Gegenseitiges Misstrauen,
- ungelöste Fragen (z.B. Status Jerusalems, Rückkehrrecht der Palästinenser, Siedlungspolitik),
- sowie tiefe historische, religiöse und politische Spannungen.
Der Iran galt bislang als einer der schärfsten Gegner Israels. Der Iran unterstützte militante Gruppen wie Hamas, Hisbollah und andere. Während die EU und andere Akteure versuchen, diplomatisch zu vermitteln, sind die USA stärkster militärischer Partner Israels in der Frage der Verteidigung des Existenzrechtes Israels in dieser Region.
Exkurs:
Historischer Überblick über den Nahostkonflikt:
1. Gründung Israels (1948) & Erster Nahostkrieg
- 14. Mai 1948: Israel erklärt seine Unabhängigkeit.
- 15. Mai 1948: Ägypten, Jordanien, Syrien, Irak und Libanon greifen Israel an (Erster Nahostkrieg).
- Folgen: Israel behauptet sich militärisch und erweitert sein Territorium über den UN-Teilungsplan hinaus. Rund 700.000 Palästinenser fliehen oder werden vertrieben (Nakba).
2. Suezkrise (1956)
- Ägypten verstaatlicht den Suezkanal. Großbritannien, Frankreich und Israel greifen Ägypten an.
- Internationaler Druck, vor allem durch die USA und die Sowjetunion, zwingt die Invasoren zum Rückzug.
3. Sechstagekrieg (1967)
- Israel greift Ägypten, Syrien und Jordanien präventiv an.
- Folgen: Israel besetzt die Sinai-Halbinsel, Gazastreifen, Westjordanland (inkl. Ostjerusalem) und die Golanhöhen.
4. Jom-Kippur-Krieg (1973)
- Ägypten und Syrien greifen Israel überraschend an.
- Nach anfänglichen Verlusten schlägt Israel zurück. Der Krieg endet unentschieden, stärkt aber arabisches Selbstbewusstsein.
5. Friedensverträge & Diplomatie
- 1979: Friedensvertrag zwischen Ägypten und Israel (Camp-David-Abkommen). Ägypten erkennt Israel an und erhält den Sinai zurück.
- 1994: Friedensvertrag zwischen Jordanien und Israel.
6. Palästinensische Intifadas
- Erste Intifada (1987–1993): Palästinensischer Volksaufstand gegen die israelische Besatzung.
- Zweite Intifada (2000–2005): Gewaltwelle nach dem Scheitern des Friedensprozesses in Camp David.
7. Oslo-Friedensprozess
- 1993: Oslo-Abkommen zwischen Israel und der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO).
- Ziel: Zwei-Staaten-Lösung. Es kommt zur Gründung der Palästinensischen Autonomiebehörde.
- Doch die Umsetzung scheitert an gegenseitigem Misstrauen, Gewalt und politischen Spannungen.
8. Rückzug aus Gaza & Hamas
- 2005: Israel zieht sich einseitig aus dem Gazastreifen zurück.
- 2006: Wahlsieg der Hamas in den palästinensischen Gebieten führt zu innerpalästinensischem Konflikt.
- Seit 2007: Hamas kontrolliert den Gazastreifen; Fatah regiert im Westjordanland.
9. Kriege & Eskalationen mit Gaza
- 2008/09, 2012, 2014, 2021, 2023/24: Mehrere militärische Auseinandersetzungen zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen, mit schweren zivilen Verlusten auf beiden Seiten.
10. Abraham-Abkommen (2020)
- Israel normalisiert Beziehungen zu mehreren arabischen Staaten, u.a. den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain, Marokko und Sudan.
- Diese Annäherung findet ohne palästinensische Beteiligung statt und führt zu Kontroversen in der arabischen Welt.
11. Eskalation seit 2023
- 7. Oktober 2023: Hamas startet einen Großangriff auf Israel. Über 1.000 Zivilisten getötet. Israel reagiert mit massiver Militärkampagne in Gaza.
- Seitdem: Tausende Tote, humanitäre Katastrophe in Gaza, internationale Spannungen.
- Anhaltende Raketenangriffe, Geiselnahmen, und Grenzkonflikte mit dem Libanon (Hisbollah) und zunehmende Gewalt im Westjordanland.
Exkurs Ende.
zu 2.)
Die Regierung der USA verhält sich mehr und mehr als Weltpolizei, die in Eigenregie bestimmt, welcher Krieg rechtmäßig ist. Der militärische Angriff der USA auf iranische Atomanlagen stellt einen Präventivkrieg an der Seite Israels dar. Unter bestimmten Umständen ließe sich der Angriff der USA auf die Atomanlagen des Iran in einer Nähe zum Präemptivkrieg sehen insofern, als die USA Israel in seiner Selbstverteidigung militärisch eingreifend unterstützen. Bedeutend bei dem Angriff der USA auf Atomanlagen des Iran ist, dass dieser Angriff erneut ohne (!) notwendiges UN-Mandat erfolgt ist - ähnlich wie bei dem Angriff der USA auf den Irak im Jahr 2003.
Exkurs:
Unterscheidung zwischen Präventiv- und Präemptivkrieg:
1. Präemptivkrieg (preemptive war)
Definition:
Ein Krieg, der begonnen wird, unmittelbar bevor ein gegnerischer Angriff erwartet wird – also in Erwartung eines unmittelbar bevorstehenden Angriffs.
Merkmale:
- Der Gegner zeigt klare, konkrete Anzeichen eines unmittelbar bevorstehenden Angriffs (z. B. Truppenaufmärsche, Einsatzbefehle).
- Der eigene Angriff erfolgt aus der Überzeugung, dass ein sofortiger Gegenschlag unausweichlich ist.
Beispiel:
- Israel im Sechstagekrieg (1967): Israel griff Ägypten an, nachdem ägyptische Truppen an der Grenze zusammengezogen wurden und die Straße von Tiran für israelische Schiffe gesperrt worden war.
Völkerrechtlich:
- Kann unter bestimmten Umständen als Selbstverteidigung nach Art. 51 der UN-Charta gelten, wenn die Bedrohung unmittelbar ist.
2. Präventivkrieg (preventive war)
Definition:
Ein Krieg, der geführt wird, um eine potenzielle, aber noch nicht unmittelbare Bedrohung in der Zukunft zu verhindern.
Merkmale:
- Es gibt noch keine konkreten Anzeichen für einen bevorstehenden Angriff.
- Die Entscheidung zum Krieg basiert auf strategischen Einschätzungen, dass der Gegner später gefährlicher werden könnte.
- Der Krieg soll dem Gegner zuvorkommen, bevor er zu stark wird.
Beispiel:
- Angriff der USA auf den Irak (2003): Begründet mit der angeblichen Gefahr von Massenvernichtungswaffen, obwohl keine unmittelbare Bedrohung bestand.
Völkerrechtlich:
- Nicht legal nach geltendem Völkerrecht.
- Wird als Aggressionskrieg gewertet, da keine unmittelbare Selbstverteidigung vorliegt.
Exkurs Ende.
zu 3.)
Der Angriff Russlands auf die Ukraine wird völkerrechtlich in der Regel als reiner Angriffskrieg gewertet, ohne dabei aus Sicht des Westens Aspekte eines Präemptivkrieges zuzulassen. Aus Russlands Perspektive könnte der Angriff der USA auf iranische Atomanlagen nun aber im Gegenzug den Vorwurf mit sich bringen, dass die USA nun auch einen völkerrechtswidrigen Präventivkrieg führen, indem sie an der Seite Israels den Iran angegriffen haben. Russland könnte dem Westen nun also in erheblicher Weise "Doppelmoral" vorwerfen. Russland könnte argumentieren:
„Wenn wir in Georgien (2008), auf der Krim (2014) oder in der Ukraine (2022) eingreifen, ist das 'Aggression' – wenn die USA Iran angreifen, ist es 'Selbstverteidigung'.“
„Die USA führen hier einen Präventivkrieg gegen eine Bedrohung, die nicht unmittelbar ist – das ist genau das, was sie uns vorwerfen.“
„Die USA handeln wieder einmal ohne UN-Mandat, wie im Irak 2003.“ (Der Westen kritisiere Russland für Völkerrechtsbruch, handle aber selbst bei günstiger Gelegenheit ähnlich.)
Exkurs:
Verhältnis USA - Russland ab dem Ende des Ersten Weltkriegs:
Das Verhältnis zwischen den USA und Russland (bzw. der Sowjetunion) ab dem Ende des Ersten Weltkriegs ist von tiefgreifenden politischen Spannungen, ideologischen Gegensätzen und geopolitischen Machtkämpfen geprägt. Vier Phasen können unterschieden werden:
1. Zwischenkriegszeit (1917–1941) – Feindschaft & Isolation
- 1917: Russische Oktoberrevolution – die Bolschewiki übernehmen die Macht.
- 1918–1920: Die USA (und andere westliche Staaten) unterstützen im Russischen Bürgerkrieg die „Weißen“ gegen die Bolschewiken.
- Keine diplomatischen Beziehungen bis 1933 – USA erkennen die Sowjetunion erst unter Franklin D. Roosevelt an.
- Ideologische Gegensätze: Kommunismus vs. Kapitalismus.
2. Zweiter Weltkrieg (1941–1945) – Zweckbündnis
- 1941: Nach dem Angriff Deutschlands auf die Sowjetunion werden die USA und die UdSSR zu Verbündeten im Kampf gegen die Achsenmächte.
- Lend-Lease-Programm: USA liefern massive militärische und wirtschaftliche Hilfe an die UdSSR.
- Misstrauen bleibt: Trotz Zusammenarbeit beim Sieg über Nazi-Deutschland bestehen ideologische Spannungen im Hintergrund.
3. Kalter Krieg (1947–1991) – Konfrontation auf globaler Ebene
Hauptmerkmale:
- Bipolare Weltordnung: USA vs. UdSSR als Supermächte.
- Systemkonkurrenz: Kapitalistische Demokratie vs. kommunistische Planwirtschaft.
- Rüstungswettlauf (inkl. Atomwaffen), Stellvertreterkriege (Korea, Vietnam, Afghanistan), Spionage, Propaganda.
Wichtige Ereignisse:
- 1949: NATO wird gegründet – gegen sowjetischen Einfluss.
- 1962: Kubakrise – Höhepunkt der nuklearen Konfrontation.
- 1970er: Phase der Entspannungspolitik (u.a. SALT-Verträge).
- 1980er: Eskalation unter Reagan („Reich des Bösen“) – SDI („Star Wars“).
- 1985–1991: Gorbatschows Reformen (Perestroika & Glasnost) leiten das Ende des Kalten Krieges ein.
4. Nach dem Kalten Krieg (1991–heute) – Zwischen Partnerschaft und Rivalität
1990er:
- Kurze Phase der Annäherung unter Jelzin.
- USA helfen bei wirtschaftlichen Reformen – aber auch Einflussnahme auf russische Innenpolitik.
2000er:
- Putins Machtübernahme (2000) – zunehmend autoritärer Kurs.
- Skepsis gegenüber NATO-Osterweiterung (z. B. Polen, Baltikum).
- 2008: Georgienkrieg – erste offene Konfrontation mit dem Westen.
2010er:
- 2014: Ukraine-Krise – Annexion der Krim durch Russland.
- Sanktionen durch die USA und EU.
- Cyber-Attacken, Desinformationskampagnen & angebliche US-Wahlbeeinflussung 2016.
2020er:
- 2022: Vollinvasion Russlands in die Ukraine – drastische Verschlechterung des Verhältnisses.
- USA liefern massive Militär- und Wirtschaftshilfe an die Ukraine.
- Beziehungen auf einem Tiefpunkt seit dem Kalten Krieg.
Exkurs Ende.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der Angriff der USA auf iranische Atomanlagen...
a) ... mit einem großen Fragezeichen unter dem Aspekt der Vorsicht versehen werden muss. Bringt dieser Angriff dem Westen nur vordergründig einen Vorteil in Form der Schwächung des Regimes im Iran mit dem Ziel, Israel zu stärken? Die meisten werden den Angrif der USA befürworten. Es muss jedoch ein großes Fragezeichen hier gesetzt werden: Diplomatie wurde hierbei völlig außen vor gelassen. Es könnte langfristig zu einer Verschlechterung in dieser Region kommen. Noch weiß niemand, wie sich die Situation weltweit entwickeln wird ausgehend von diesem "präventiven" (bzw. "präemptiven" ??) Angriff der USA auf den Iran.
b) ... nicht unproblematisch ist, da dieser Angriff erneut in Selbstregie, in Form eines Diktates und in Form eines Präventivkrieges erfolgt ist.
c) ... nun weiter beobachtet werden muss. Es bleibt abzuwarten, wie sich die geopolitische Situation im Nahen Osten entwickeln wird - auch hinsichtlich des Russland - Ukraine - Krieges, denn Russland hat nun erneut das Argument des "Doppelmoral-Vorwurfs" in der Hand. Die Frage wird auch sein, wie andere Länder auf diesen Angriff der USA vom 22. Juni 2025 reagieren werden.
Wie schätzt Ihr diesen Militärschlag der USA auf iranische Atomanlagen ein?
Rainer Langlitz
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