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An welchen Punkten lässt sich ein Eklat um Frau Frauke Brosius-Gersdorf festmachen?

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An welchen Punkten lässt sich ein Eklat um Frau Frauke Brosius-Gersdorf festmachen?

Rainer Langlitz
Veröffentlicht von Rainer Langlitz in Essays · Sonntag, 13. Juli 2025 · Lesezeit 7:30
Frauke Brosius‑Gersdorf war seit 2021 Professorin für Verfassungsrecht an der Universität Potsdam. Sie bezog Positionen unter anderem zur Zulässigkeit des islamischen Kopftuchs und zur Menschenwürde erst ab der Geburt, was in konservativen Kreisen (Union) umstritten ist.

Am Freitag, dem 11. Juli 2025, sollte die parlamentarische Wahl von drei neuen Verfassungsrichter:innen stattfinden – darunter Frauke Brosius‑Gersdorf, die als Kandidatin von der SPD nominiert worden war [Anm. 1]. Die Abstimmung wurde jedoch in letzter Minute überraschend von der Tagesordnung genommen.

Bereits im Vorfeld der Bundestagswahl am 11.Juli 2025 äußerten zahlreiche Unionsabgeordnete Bedenken gegen ihre Eignung, insbesondere wegen ihrer Haltung im Bereich Schwangerschaftsabbrüche [Anm. 2], Impfpflicht [Anm. 3] und Religionsneutralität [Anm. 4].

Am Donnerstagabend (ca. 20:10 Uhr) veröffentlichte Plagiatsprüfer Stefan Weber auf seinem Blog 23 Stellen, die er als verdächtige Textparallelen zwischen der 1997 veröffentlichten Dissertation Brosius‑Gersdorfs und der 1998 erschienenen Habilitationsschrift ihres Ehemanns Hubertus Gersdorf bezeichnete. Am Freitagmorgen forderte die Unionsfraktion kurzfristig die Absetzung der Wahl der SPD‑Kandidatin zur Richterin am Bundesverfassungsgericht – offiziell wegen des Plagiatsverdachts. Der Bundestag entschied noch am Vormittag, die Tagesordnung für die geplante Wahl von drei Verfassungsrichtern (darunter Brosius‑Gersdorf) zu streichen. Die Abstimmung wurde vertagt – mit den Stimmen von SPD, Grünen, Linken und Union. Die Wahl soll nach der parlamentarischen Sommerpause nachgeholt werden. Die SPD strebt ein Gespräch zwischen Brosius‑Gersdorf und Vertretern der Unionsfraktion an. Ein konkretes Format ist noch nicht festgelegt, aber Brosius‑Gersdorf möchte sich persönlich den Fragen der Union stellen, um Vorbehalte auszuräumen. Bis dahin bleibt die Personalie umstritten. Die Frage bleibt offen, wie stark der akademische Vorwurf der politische Opposition überlagert.

Bundeskanzler Friedrich Merz hatte sich klar und öffentlich zur Nominierung von Frauke Brosius‑Gersdorf als Richterin am Bundesverfassungsgericht – trotz internem Widerstand v.a. aus der CDU/CSU‑Fraktion geäußert: In der Regierungsbefragung im Bundestag am 9. Juli 2025 wurde Merz von der AfD-Abgeordneten Beatrix von Storch gefragt: „Können Sie es mit Ihrem Gewissen vereinbaren, Frau Brosius‑Gersdorf zu wählen?“ Seine Antwort lautete knapp: „Ganz einfache Antwort: Ja.“ Damit erklärte er unmissverständlich seine Bereitschaft, sie zu unterstützen – trotz ihrer Position zum Lebensrecht des ungeborenen Lebens. Merz bezeichnete Brosius‑Gersdorf als vertretbar, obwohl sie in Teilen der eigenen Fraktion umstritten war – insbesondere wegen ihrer liberalen Haltung zum Thema Abtreibung. Trotz Merz’ Unterstützung formierte sich eine wachsende Unzufriedenheit innerhalb der CDU/CSU-Fraktion: 50 bis 60 Abgeordnete signalisierten Einwände oder Zustimmungsverweigerung gegenüber der Kandidatin. Merz’ öffentliche Zustimmung blieb in der Fraktion umstritten. Viele seiner Fraktionskollegen verweigerten offenbar Applaus – was auf eine stille Protesthaltung hindeutet. Intern gab es sogar eine Sondersitzung der Unionsfraktion, um über die Personalie zu beraten und mögliche Alternativen zu diskutieren.

Anke Rehlinger (SPD/BR‑Präsidentin) kritisierte den Umgang mit der Kandidatin scharf und bezeichnete das Verfahren als „außerordentlich misslich“, auch weil es das Ansehen des Bundesverfassungsgerichts beschädige.

Annalena Baerbock äußerte sich auf X/X.com in Solidarität mit Brosius‑Gersdorf und deutete eine gezielte Diskreditierung durch rechte Plattformen an, insbesondere weil Brosius‑Gersdorf sich für Selbstbestimmung von Frauen einsetze und schon zuvor Ziel ähnlicher Vorwürfe war.

Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann sprach von einem „Desaster für das Parlament“.

Die Linksfraktionschefin sprach von einem „absoluten Skandal“.

AfD-Abgeordnete beklagten „absolute Instabilität“ der Koalition.


Es wird weiterhin spekuliert, dass die SPD Frauke Brosius‑Gersdorf bewusst als Kandidatin nominiert hat, um ein mögliches AfD‑Verbotsverfahren zu forcieren. Die Annahme fußt auf mehreren Punkten:

Gründe für den Verdacht

  1. Bekannte Haltung: Brosius‑Gersdorf hat sich 2024 in der ZDF-Talkshow Markus Lanz für ein AfD‑Verbotsverfahren ausgesprochen (unter der Voraussetzung, dass Verfassungsschutzmaterial vorliegt) – was sie als „Signal der wehrhaften Demokratie“ bezeichnete.
  2. Parteilinie der SPD: Die SPD hatte bereits auf einem Bundesparteitag beschlossen, ein AfD‑Verbot vorbereiten zu wollen – also ist Brosius‑Gersdorf, die diese Linie teilt, eine strategische Besetzung .
  3. Positionierung im Zweiten Senat: Wenn sie gewählt würde, käme sie in den Zweiten Senat des BVerfG – zuständig für staatsrechtliche Fragen einschließlich Parteiverbote. Dort sind derzeit bereits mehrere SPD- oder Grünen-nominierte Richter, was Spekulationen über eine Verstärkung der linken Positionen nährt.
  4. Kritik an politischem Aktivismus: Konservative Stimmen sehen in ihrer Nominierung einen ideologischen Schachzug: Brosius‑Gersdorf sei „politisch besetzt“, nicht neutral, und könne gezielt eingesetzt werden, um ein Verbotsverfahren später möglich zu machen.

Was sagt die SPD dazu?
  • SPD-Repräsentanten wie Dirk Wiese oder Sonja Eichwede sehen die Personalie dagegen als fachlich legitim und verteidigen ihre Neutralität – vor allem in der Debatte bemängelten sie eine Hetzkampagne von rechten Kreisen, die Brosius‑Gersdorf vorschnell als „ultralinks“ etikettierten.
  • Offizielle Erklärungen der SPD betonen, dass die Kandidatin gewählt werden soll ohne die Stimmen der AfD, und dass die Wahl vollständig unabhängig und fachlich bestimmt sei. Ein strategisches „Platzieren“ des Verbotsbefürworters werde zurückgewiesen .


Zusammenfassend lassen sich drei Schwerpunkte in Bezug auf die Eingangsfrage festmachen:

1.) Umstrittene Personalie der Kandidatin selbst (Haltung und Positionen):

- Schwangerschaftsabbruch
- Impfpflicht
- Zulässigkeit des islamischen Kopftuchs

Diese Haltung ist in konservativen Kreisen umstritten.

2.) Instabilität der Regierungskoalition bzw. Beschädigung des Ansehens des Parlaments und des Bundesverfassungsgerichts

3.) Verdacht der Nominierung zur Ermöglichung eines AfD-Verbots

Rainer Langlitz

Anmerkungen:

[1] Das Bundesverfassungsgericht besteht aus zwei Senaten mit je acht Richter:innen. Die Richter:innen werden zur Hälfte vom Bundestag und zur Hälfte vom Bundesrat gewählt. Die SPD hatte im Sommer 2025 das Vorschlagsrecht für die Nachfolge von Doris König, die dem 2. Senat angehörte. Der Wahlausschuss des Bundestags, ein Gremium mit 12 Mitgliedern, wählte Brosius-Gersdorf mit Zweidrittelmehrheit offiziell als SPD-Kandidatin für die Wahl, die am 11. Juli 2025 im Bundestag stattfinden sollte.

[2] Frauke Brosius‑Gersdorf hat sich sehr klar und öffentlich zur Reform des Abtreibungsrechts geäußert. Hier die wichtigsten Aussagen zu ihrer Haltung:

  • Als stellvertretende Koordinatorin der Bundes-Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung (2023/24) empfahl sie im Kommissionsbericht eine Entkriminalisierung von Abbrüchen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche („Frühe Phase“), die statt als Straftat als legal gelten sollten.

  • In ihrer schriftlichen Stellungnahme für eine Anhörung im Februar 2025 erklärte sie, dass es „gute Gründe“ gebe, die Menschenwürdegarantie erst ab der Geburt anzusetzen und nicht bereits dem ungeborenen Leben zuzuerkennen.

  • Während der öffentlichen Anhörung führte sie aus:
    „In der Frühphase der Schwangerschaft tritt das Lebensrecht des Embryos gegenüber dem Abbruchverlangen der Schwangeren zurück.“

  • Sie argumentiert zudem, dass der Gesetzgeber nicht an die bisherigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gebunden sei und eine eigene verfassungsrechtliche Neubewertung erlaubter Schwangerschaftsabbrüche vornehmen könne.

[3] Frauke Brosius‑Gersdorf hat sich während der Corona-Pandemie klar für Impfpflichten ausgesprochen, insbesondere für eine einrichtungsbezogene Pflicht in Gesundheits- und Pflegeberufen und hielt eine allgemeine Impfpflicht für verfassungsrechtlich denkbar.

Haltung zur Impfpflicht im Überblick

Einrichtungsbezogene Impfpflicht
  • Brosius‑Gersdorf befürwortete eine Impfpflicht für bestimmte Personen in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen, etwa Ärzte, Pfleger:innen oder Beschäftigte mit engem Kontakt zu vulnerablen Menschen.
  • Sie sah diese Regelung als verfassungsrechtlich zulässig und verhältnismäßig an, da der Schutz vulnerabler Gruppen im Vergleich zum Eingriff in die körperliche Unversehrtheit der Beschäftigten überwiege.
  • Sie plädierte dafür, die Pflicht tätigkeitsbezogen statt pauschal berufsbezogen einzuführen und Ausnahmen bei medizinischer Kontraindikation vorzusehen.

Allgemeine Impfpflicht
  • Bereits 2021 veröffentlichte sie gemeinsam mit ihrem Ehemann eine Stellungnahme, in der sie argumentierte, eine allgemeine Corona-Impfpflicht verletze nicht das Grundgesetz – und fragte, ob es mittlerweile nicht sogar eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Einführung einer solchen Impfpflicht gebe.
  • In diesem Zusammenhang empfahl sie teils weitreichende Maßnahmen, wie etwa den Entfall der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für Impfverweigerer, um den Schutz der Gesellschaft zu verbessern.

[4] Frauke Brosius‑Gersdorf hat sich in mehreren öffentlichen Texten und Beiträgen sehr klar zum Tragen des islamischen Kopftuchs durch Rechtsreferendarinnen und im Staatsdienst geäußert:

Ihre Haltung zum Kopftuch im Staatsdienst

Keine Verletzung des Neutralitätsgebots
  • In einem von ihr gemeinsam mit ihrem Ehemann verfassten Gastbeitrag („Verfassungsblog“, März 2020) argumentierte Brosius‑Gersdorf, dass das Tragen eines islamischen Kopftuchs im Rahmen des juristischen Vorbereitungsdienstes nicht gegen das staatliche Neutralitätsgebot verstoße. Sie kritisierte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, ein pauschales Kopftuchverbot bei Rechtsreferendarinnen als zulässig anzusehen, und bezeichnete eine solche Regelung als Berufsverbot im Verfassungsgewand.

Ihre Grundannahme
  • Sie betonte: Der Staat identifiziere sich nicht mit der religiösen Praxis einzelner Beschäftigter. Religionsausübung durch Referendarinnen sei private Religionsfreiheit, und ein generelles Verbot sei verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.

Kritik an der bisherigen Rechtsprechung
  • Brosius‑Gersdorf stellte sich damit explizit gegen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus 2020, welches bestimmten Tätigkeiten im Justizdienst das Kopftuch verbietet. Sie sah in der Fortführung dieser Linie eine Einschränkung der religiösen Freiheit, die nicht notwendigerweise durch verfassungsrechtliche Schutzpflichten gedeckt sei.


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